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nachrufRevolutionärin aus Detroit

Grace Lee Boggs Foto: ap

Grace Lee Boggs kam als Tochter chinesischer EinwandererInnen an der Ostküste zur Welt. Aber ihr Leben als Aktivistin hat sie an der Seite von Black-Po­wer-Leuten verbracht. Mit ihnen kämpfte sie gegen Rassismus, für Löhne und Mieterrechte und gegen Umweltzerstörung. Mit ihnen gründete sie Kooperativen, die auf städtischem Brachland Gemüse anbauen.

Ihr Zentrum war Detroit: Sie zog in die Stadt, als sie 1,7 Millionen EinwohnerInnen hatte und die Autoproduktion boomte. Am Schluss schob sie ihren Rollator durch verlassene Straßen und bedauerte Menschen, „die nicht hier leben“. Detroit war für sie das Symbol des Epochenwandels – von der Industrialisierung zu einer Solidargesellschaft. Dort veröffentlichte sie 2011 ihr letztes Buch „The next American Revolution“. Am Montag ist sie dort mit 100 Jahren gestorben.

„Sie hat mehr zu dem afroamerikanischen Kampf beigetragen als die meisten Schwarzen“, sagte Angela Davis über die große alte Dame. In Grace Lee Boggs’ Haus auf der Ostseite von Detroit sind Linke aus allen Teilen der USA und dem Rest der Welt ein- und ausgegangen. Dort lebte sie 40 Jahre lang mit ihrem Ehemann, dem schwarzen Autoarbeiter und Aktivisten James Boggs. Er sprach bis zu seinem Tod den Slang der Landarbeiter in seinem heimatlichen Alabama.

Sie hatte einen Doktor in Philosophie. Übersetzte Marx aus dem Deutschen. Sie schrieb über Lenin und Hegel, über die Revolutionierung der Produktion und über humanistische Dimensionen. In politischen Debatten war sie eine zugleich beliebte und gefürchtete scharfzüngige Diskutantin. In jungen Jahren durchquerte Grace Lee Boggs verschiedene marxistische Gruppen und kritisierte die Sowjetunion als „staatskapitalistischen“ und „degenerierten Arbeiterstaat“. Später arbeiteten sie und ihr Mann mit dem radikalen Flügel der Bürgerrechtsbewegung und Malcolm X zusammen. Sie orientierte sich weg von der Weltrevolution, hin auf das Geschehen in den USA. Beim FBI hatte sie eine dicke Akte.

Als im Juli 1967 nach einer Razzia in einem schwarzen Nachtclub ganze Stadtteile von Detroit in Flammen aufgingen, galten sie und ihr Mann als intellektuelle Brandstifter. Sie war damals gar nicht in der Stadt. Aber bis zum Schluss ihres Lebens nannte sie jene Ereignisse eine „Rebellion“ und „Widerstand“. Die Wörter „Randale“ und „Unruhe“ lehnte sie ab. Obamas Wahl zum Präsidenten kommentierte sie mit den Worten: „Die wahren Veränderungen kommen von unten.“

Nach ihrem Tod schrieb ein schwarzer Bürgerrechtler in Ferguson auf seine Facebook-Seite: „Wenn ich groß bin, möchte ich wie Grace Lee Boggs sein“.

Dorothea Hahn

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