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Das Leid der toten Mutter

SCHAUSPIEL Wajdi Mouawads „Verbrennungen“ ist eines der erfolgreichsten und packendsten Dramen des Jahrhunderts: Daran wird auch Mirko Borschts öde Inszenierung in Bremen nichts ändern

Er will, dass sie die Klappe hält – auch, um sie zu schützen

Alles ist grau, verschleiert, gebrochene Lichtstreifen, Wassergeräusche. Es regnet in ein großes Becken an der Bühnenkante, ein Wasservorhang entsteht. Große, dunkle Leinwände mit Lichtbahnen hängen horizontal und vertikal von der Decke, graue Blöcke teilen die Bühne, auf zwei Gazebahnen werden Videoinstallationen projiziert.

„Verbrennungen“ heißt das Stück, das unter der Regie von Mirko Borscht am Samstag Premiere im Theater Bremen hatte. Erst mit ihrem Tod beginnt die Mutter von Simon und Jeanne zu reden: Eine Untote, die ob der erlittenen, Gräuel, die sie zu Lebzeiten hatten verstummen lassen, nun nicht zur Ruhe findet: Auch der viele Regen wird ihre Verbrennungen nicht kühlen können. Nawal Marwan (Irene Kleinschmidt) ist aus dem Bürgerkrieg eines arabischen Landes nach Europa geflohen, der sie hatte verstummen lassen. Ihre Kinder versuchen, ihr Leiden jetzt zu rekonstruieren. Simon (Simon Zigah), der ahnt, dass dies eine Höllenfahrt wird, hält seine Schwester (Lisa Guth) anfangs noch zurück. Während Jeanne die Aufgabe mathematisch lösen will, reißt er sie mehrfach zu Boden, hält ihr den Mund zu, schleppt sie hinter den Vorhang. Er will, dass sie die Klappe hält – auch um sie zu schützen vor dem, was sie erfahren müssen.

Mit „Verbrennungen“ gelang dem kanadischen Dramatiker Wajdi Mouawad 2003 der internationale Durchbruch, gerade in Deutschland wird es oft inszeniert, für weiteren Schub sorgte die oscar-prämierte Verfilmung 2011: Was Mouawad schreibt, wird seither weltweit gespielt. „Verbrennungen“ aber ist auch wegen seiner autobiografischen Züge besonders bewegend: Im Alter von acht Jahren war der Autor 1976 nach Frankreich gekommen, als Bürgerkriegsflüchtling aus dem Libanon. Doch in Europa bekam die Familie kein Bleiberecht, trotz der anhaltenden Gewalt in ihrer Heimat, trotz der Massaker. Sie wanderte aus nach Kanada.

Neun SchauspielerInnen lässt Borscht in „Verbrennungen“ auftreten, teils in unterschiedlichen Rollen: Martin Baum verkörpert unter anderem den Vater und den ehemaligen Gefängniswärter, Peter Fasching spielt einen hingebungsvollen Liebhaber und abgebrühten Mörder. Das beeindruckende Bühnenbild von Christian Beck lässt verschiedene Gänge und Räume entstehen, die parallel bespielt werden: Borscht überlässt sich dabei ganz dem Spannungsbogen des Stücks, der sich bis zu dem Moment zieht, in dem Jeanne und Simon Vater und Bruder finden werden. In getragenem Tempo und fast statisch lässt er die DarstellerInnen sitzen, gucken, hören, erzählen und schweigen. Das ist nicht falsch, aber nicht genug für eine Inszenierung von rund drei Stunden.

Nele Wagner

Theater Bremen, 2., 7., 24. 10., 20 Uhr; 18. 10., 18 Uhr

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