Press-Schlag
: Schweigegelübde der Jubelperser

PROTEST Die Fans lassen sich schon zu lange als Propagandamitarbeiter missbrauchen. Der Boykott in Köln war überfällig

Und die Musik spielte trotzdem. Wer einmal im Stadion in Köln-Müngersdorf war, der kennt das: Die Zwangsbeschallung mit „kölschen Tön“ hört erst auf, wenn der Schiri pfeift: nämlich das Spiel an. Vorher werden auch außerhalb der „Session“ Karnevalsschlager gesungen; es wird geschunkelt, während auf dem Feld die Cheerleader die einlaufenden Mannschaften begrüßen, und zwischendurch gibt es Interviews im Fan-TV. Am ruhigsten ist es, wenn der „Eff-zeh“ hoffnungslos zurückliegt. Dann lässt sich das Spiel auch einmal genießen.

Seit die Politik aus der Kölner Vorstadt Bonn in die Hauptstadt gezogen ist, befindet sich die Stadt Köln spürbar im Niedergang. Sie versucht das mit der gewohnten Spaß- und Eventkultur zu kompensieren, aber außer dem FC, Karneval und RTL fällt ihr nicht viel ein. Nervt in München der dummblöde Torjingle, der mal ein äußerst cooler White-Stripes-Riff gewesen war, nervt in Köln eigentlich alles: die Musik, die Cheerleader, die ganze Fankultur.

Am Samstag war alles ein wenig anders. Zumindest während des Spiels, dem sogenannten Niederrheinderby, herrschte öfter mal Stille. Die Ultras des FC hielten sich vornehm zurück, die Fans der Gladbacher waren gar nicht erst gekommen.

Sie blieben dem Derby fern, um gegen die Personalisierung der Gästekarten zu protestieren – eine Sanktion, die der DFB verhängt hatte, um einen Platzsturm wie beim letzten Derby geschehen zu verhindern. In Mönchengladbach hatte im Februar eine – wohlgemerkt – FC-Fangruppe, die „Boyz“, den Platz nach der 1:0-Niederlage in Malerkluft gestürmt. Die „Boyz“ wurden daraufhin strafrechtlich verfolgt, es wurden Geldstrafen und Stadionverbote verhängt.

Um ähnliche Vorkommnisse im Vorhinein zu unterbinden, sollten die Gästefans diesmal nur gegen den Personalausweis Eintrittskarten erhalten – für Dauerkartenbesitzer übrigens ein normaler Vorgang. Die Gladbacher reisten daraufhin gar nicht erst an, die FC-Ultras, erstaunlich genug, übten zum Ärger von FC-Manager Jörg Schmadtke Solidarität mit den gegnerischen Fans.

Also gab es weniger Stimmung beim Spiel. Ganz schön eigentlich, denn man konnte sich endlich auf wichtigere Dinge konzentrieren: Taktik, Spielzüge, Systeme. Schmadtke fand das Ganze traurig – diese Stille plötzlich, diese Ruhe, diese Übersicht. Dabei hatte das Dauerrauschen gar nicht ausgesetzt, es war nur etwas abgeebbt.

Gelegenheit auch für die Fans, ihre Rolle als Propagandaarmee für ein großes Unternehmen, das so ein Bundesligist heutzutage ist, einmal grundsätzlich zu überdenken. Es ist ja nicht nur so, dass sie perfekte Jubelperser abgeben – inklusive einstudierter „Choreografien“. Sie lassen sich nicht nur nicht bezahlen für diese Angestelltenunterstützungsarbeit, sie zahlen sogar drauf. Sie kaufen vorab die neue Trikotkollektion samt Sponsorenwerbung und tragen sie rund um die Spieltage durch die Welt. Man weiß nicht, tragen die Menschen jetzt alle Supermarktkassiererhemden oder Fußballtrikots? Sie tragen beides. Vielleicht ist auch das etwas typisch Deutsches, diese Bereitwilligkeit zur Uniform?

Die ferngebliebenen Gladbach-Fans haben es besser gemacht. Statt dem Erzfeind das Geld in die Kassen zu spülen, trugen sie es in die bezahlfernsehenlizensierten Altbierkneipen in der Mönchengladbacher Altstadt (dass es dort überhaupt eine Altstadt gibt, kann von hier aus nicht bewiesen werden). Konsequent wäre es gewesen, zu Hause zu bleiben und das Radio anzustellen. Aber das ist vielleicht zu viel verlangt.

René Hamann