Fragwürdige Methoden

Rechtslage Innerhalb eines Jahres sind zwei verdeckte Ermittlerinnen in der linken Szene Hamburgs nachträglich aufgeflogen. Ihr Einsatz wirft juristisch viele Fragen auf

Traum verdeckter Ermittler: die Szene in der Roten Flora   Foto: Malte Christians/dpa

von Kai von Appen

Sie sollen in Kreise eindringen, die mit normalen Mitteln der Polizei nicht zugänglich sind: PolizistInnen, die sich durch falsche Legenden und vorgetäuschte Freundschaften in das Vertrauen der Zielpersonen einschleichen. Die beiden jüngsten Hamburger Fälle flogen im August und im vergangenen November auf. Sechs Jahre lang war Iris P. als „Iris Schneider“ als verdeckte Ermittlerin und gleichzeitig als verdeckte Aufklärerin – als sogenannte „Beamtin für Lagebeurteilung“ – in der linken Szene unterwegs. Maria B. alias „Maria Block“ brachte es nach bisherigen Kenntnissen auf vier­einhalb Jahre als verdeckte Ermittlerin.

Die offizielle Position des rot-grünen Senats ist klar. „Der Einsatz verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen operierender Polizeibeamter stellt ein unverzichtbares Mittel zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, der Abwehr bestimmter Gefahren oder bei der Aufklärung bestimmter Straftaten dar“, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten der Linkspartei, Christiane Schneider, zum Fall Maria Block.

Dabei ist der polizeiliche Undercover-Einsatz nicht nur moralisch umstritten, sondern anders als beim Verfassungsschutz strengen Regeln unterworfen. Es muss einen Grund für den Einsatz geben oder zumindest konkrete Hinweise. Zu sagen, „da gucken wir mal undercover rein“, reicht nicht.

Nach einem „Schnupperpraktikum“ in der linken Szene Ende 2000 und einer dreimonatigen Agenten-Ausbildung war die damals 25-jährige Polizistin Iris P. ab 2001 als „Beamtin für Lagebeurteilung“ im autonomen Stadtteilzentrum „Rote Flora“ für das Hamburger LKA, Abteilung Staatsschutz, tätig. 2002 wurde sie dann in Amtshilfe vom Bundeskriminalamt (BKA) als „verdeckte Ermittlerin zur Strafverfolgung“ eingesetzt, um etwas über den Verbleib untergetauchter Mitglieder der Roten Armee Fraktion herauszufinden.

Um auch in Privatwohnungen eindringen zu dürfen, hatte sie einen richterlichen Beschluss vom Bundesgerichtshof für die Ermittlungen – die Voraussetzung für die Verletzung der Privatsphäre. Denn für eine verdeckte Aufklärerin sind Privatwohnungen „grundsätzlich“ tabu. Dieses Tabu ist 2001 in Hamburg verschärft worden, nachdem zwei Jahre zuvor der Spitzel „Stefan“ aufgeflogen war, der sich gern in Privatwohnungen der Flüchtlingsunterstützerszene tummelte.

Später war Iris P. als verdeckte Ermittlerin zur Strafverfolgung für das LKA Schleswig-Holstein in Kiel im Einsatz, um einen Brandanschlag auf eine Polizeistation aufzuklären, für die die „Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof“ verantwortlich zeichnete. Als Verdeckte Ermittlerin mit weitreichenden Vollmachten wurde sie die ganzen Jahre hindurch von der Staatsschutzabteilung des Hamburger LKA geführt – für die sie gleichzeitig als „Beamtin für Lagebeurteilung“ in der Roten Flora tätig war, was das BKA offenbar nicht wusste.

Zu diesem Zweck hatte sich Iris P. in der queerfeministischen Szene und beim linken Radio Freies Sender Kombinat eingenistet – einen gerichtlichen Auftrag zur Strafverfolgung hatte sie dafür allerdings nie bekommen. Sie hatte im Flora-Umfeld also nicht die Befugnisse einer verdeckten Ermittlerin, personenbezogene Daten zu erfassen oder sich in Privatwohnungen aufzuhalten. Genau das aber tat sie – ob im Auftrag und in Abstimmung mit ihren Einsatzführern beim LKA, wie sie in einer Erklärung behaupten soll, oder auf Eigeninitiative, ist bis heute strittig.

Diese Ausweitung der Kompetenzen war eine Konstellation, die es nie hätte geben dürfen und die klar rechtswidrig ist. Denn was eine verdeckte Ermittlerin in ihrem Polizistinnen-Gehirn speichert, ist ihr auch als Beamtin für Lagebeurteilung zugänglich, auch wenn sie über dieses Wissen gar nicht verfügen dürfte. Eine Trennung beider Funktionen in einer Person ist kaum möglich, selbst wenn die Personendaten nicht in ihren Lagebeurteilungen auftauchten.

Darüber hinaus landeten die Berichte von Iris P. auch beim Verfassungsschutz, woraus klar wird, dass die grundgesetzliche Trennung zwischen Polizei und Inlandsgeheimdienst nicht eingehalten worden ist. Eine Ausnahme nach dem Verfassungsschutzgesetz ist nur zulässig, wenn polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, die für den Verfassungsschutz von Bedeutung sind. Solche Erkenntnisse hat Iris Schneider nie gewonnen.

Iris P. habe ihr vorheriges Privatleben nahezu aufgegeben und ihren Lebensmittelpunkt über Jahre hinweg in die linke Szene verlagert, was zu einer Verschmelzung mit der Szene geführt habe, sagt Gabriele Fischer von der Innenrevision der Innenbehörde. Sie sei darum „korrumpierbar“ gewesen, womöglich sei sie sogar Liebesbeziehungen eingegangen.

Über den Doppeleinsatz von Iris P.

Was eine verdeckte Ermittlerin in ihrem Polizistinnen-Gehirn speichert, ist ihr auch als Beamtin für Lagebeurteilungzugänglich, auch wenn sie über dieses Wissen gar nicht verfügen dürfte

Die Polizeiführer von Iris P. beim LKA nahmen diese Entwicklung entweder nicht wahr oder sie nahmen sie billigend in Kauf. Die Führung habe die Beamtin Iris P. überhaupt nicht gekannt, kritisiert Revisorin Fischer. „Der Einsatz ist entglitten.“ Sie empfiehlt weitere disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen alle Beteiligten.

Bei Maria B. wählte der Hamburger Staatsschutz gleich einen anderen, vermeintlich sichereren Weg. „Maria Block“ wurde als „verdeckte Ermittlerin zur Gefahrenabwehr“ eingesetzt, weil angeblich Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ zu befürchten waren. Das lässt der Paragraf 12 des Hamburger „Polizeigesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei“ derzeit zu. Demnach dürfen verdeckte Ermittler zur Gefahrenabwehr ebenso wie verdeckte Ermittler zur Strafverfolgung personenbezogene Daten erfassen und mit Einladung des Inhabers Privatwohnungen betreten. Die gesamte Maßnahme muss jedoch von der Staatsanwaltschaft genehmigt werden.

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hegt allerdings Zweifel, ob ein solcher Einsatz vier Jahre dauern kann, um eine unmittelbare Gefahr abzuwehren. Womöglich sei die eigentliche Intention doch eine präventive Dauerüberwachung der linken Szene gewesen, wie sie eigentlich dem Inlandsgeheimdienst vorbehalten ist.

So soll „Maria Block“ alle Pläne der Autonomen zum Neonazi-Aufmarsch am 2. Juni 2012 gekannt haben, schließlich hatte sie daran ja mitgewirkt. Die Pläne wurden von der Polizei durchkreuzt, nachdem ihr zweites Ich, Maria B., sie verraten hatte.