Berliner Szenen: Je brutaler, desto besser
Im OP
Mittwochmorgen, 7 Uhr 30. Ein Berliner Krankenhaus. Bekleidet mit weißer Netzunterhose, hinten offenem Kittel und weißen Kniestrümpfen durch die Gänge zu marschieren – es ist eine ganz eigene Art der Verwundbarkeit, die durch ein solches Ensemble entsteht. Dazu ringlose Finger und leere Ohrlöcher. Nackt ist kein Ausdruck. Zum Glück hab ich den Bademantel drüber.
Vor dem Eingang zum OP sitzt ein junger Mann. Wippt vor und zurück, ganz in sich und sein Gebet vertieft. Er trägt Kippa und Gebetsriemen. Morgengebet? Hoffentlich. Denke ich und durchschreite die Tür. Dahinter: Schlachthausatmo. Viele Kacheln, viel Metall. Gut abwischbar. Menschen mit Masken im Gesicht.
Seit wann arbeitet Christoph Waltz im OP? Der Mann, der mich auf dem Tisch festschnallt, hat jedenfalls exakt dessen irren Blick, manischen Witz und leicht schleppenden Duktus. Auf einem kalten Tisch geht’s horizontal weiter. Durch Schleusen und Räume voll besorgniserregender Apparaturen. Noch mehr Kacheln. Noch mehr Metall.
Im OP dann: grelles Licht. Kalt ist’s. Fiese Spritze. Und dann das Skalpell, das ich tatsächlich nicht spüre. Aber vorstellen tu ich mir alles dann doch: Haut durchschneiden, Blut abwischen, Gefäße veröden. Mir ist ein bisschen schlecht, sage ich. Und schon: Zack. Decke runter. Atmen. Geht schon wieder.
Rührend, wie Operateur und Assistenz mit einem unverfänglichen Gespräch an meinem Wohlsein arbeiten. Assistenz, freundlich: Gehen sie gern ins Kino? Ich, gequält: Ja ja. Operateur, schnippelnd: Also ich gucke ja gern Serien. Amerikanische. Zum Runterkommen. Assistenz: Aha? Solche zum Nachdenken? Operateur: Nee. Je brutaler, desto besser. Später dann im Fahrstuhl zurück ist fast gar nichts zu sehen. Nur ein hautfarbenes Pflaster. Nicht mal Blut. Kirsten Reinhardt
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