Vor Kurzem ist die neunjährige Hala (rechts) aus Syrien gekommen, nun will sie Deutsch lernen Foto: Wolfgang Borrs

Die schwierige Ankunft im Alltag

Willkommensklassen 5.000 Kinder, das Gros von ihnen Flüchtlingskinder, lernen derzeit Deutsch in speziell für sie eingerichtete Klassen in dieser Stadt. Wie geht es ihnen dort? Und wie kommen die Lehrer klar?

von Anna Klöpper

„Ich packe meinen Koffer“, singen die Kinder. „Ich packe meinen Koffer und ich nehme mit: eine Sonnenbrille, einen Bikini und einen Reisepass.“

Ein Donnerstagmorgen im Spätsommer, in der Schule Am Breiten Luch in Lichtenberg hat es zur zweiten Stunde geklingelt. Durch die Fenster mogelt sich ein Sonnenstrahl ins Klassenzimmer, an den Plattenbauten hinter dem Schulhof vorbei, auf Halas Tisch. Die Neunjährige aus Syrien, dunkle Augen im schmalen Gesicht, schicke Spange im schwarzen Haar, hat tatsächlich erst kürzlich ihre Sachen gepackt. So wie ihre KlassenkameradInnen: Muhammad aus Syrien, Mersina aus Serbien, Marc aus der Ukraine.

In den Urlaub ist aber niemand von ihnen gefahren. Sie sind geflohen – vor Terror in Syrien, Verfolgung in Serbien, Krieg in der Ukraine. Nun sitzen sie in der Willkommensklasse der Schule Am Breiten Luch, einer sonderpädagogischen Förderschule mit angeschlossener Grundschule für Willkommensklassen, und singen ausgerechnet das Kofferlied.

Normalerweise geht es so: Neue Asylbewerber werden vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) regis­triert und einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen. Die dortigen Sozialarbeiter melden die Kinder beim Schulamt an. Diese meldet die neuen Kinder dem Gesundheitsamt, das die schulärztliche Untersuchung vornehmen muss, bevor Kinder in die Schule gehen dürfen. Für Asylbewerber ist zudem eine Röntgenuntersuchung wegen Tuberkulosegefahr obligatorisch. Liegen alle Untersuchungen vor, gibt die zuständige Schule im Heim Bescheid, dass das Kind kommen darf.

Warum es dauern kann mit der Einschulung: Die erste Meldung beim Schulamt erfolgt nicht immer sofort nach Einzug ins Heim, weil Sozialarbeiter wegen der steigenden Flüchtlingszahlen und teils nicht besetzter Stellen überlastet sind. Hinzu kommt, dass das Lageso oft Wochen braucht, um die Flüchtlinge zu registrieren – ohne Registrierung aber gibt es weder Geld noch Asylantrag noch Schulplatz. Fehlendes Personal in den Gesundheitsämtern ist nach Angaben des Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migranten (BBZ) ein weiterer Grund, warum sich die Einschulung verzögern kann – um bis zu drei Monate. Einen Fortschritt gibt es aber: Die Wartezeiten auf die TBC-Untersuchung haben sich seit Anschaffung eines Röntgenmobils im Juli auf einige Tage reduziert. (sum)

Rund 5.000 SchülerInnen, das Gros von ihnen Flüchtlingskinder, lernen derzeit Deutsch in sogenannten Willkommensklassen. Die Zahl dieser Klassen, die eigentlich „Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ heißen, hat sich innerhalb eines ­Jahres nahezu verdoppelt: 257 waren es im Herbst 2014. Aktuell sind es laut Senatsbildungsverwaltung 478 Klassen an Grund- und Oberschulen. Damit hat jede dritte Berliner Schule inzwischen irgendwo mindestens eine Lerngruppe untergebracht, die die knapp 5.000 „Neuzugänge“ im Berliner Schulsystem, bestenfalls innerhalb eines Schuljahrs, auf den regulären Unterricht vorbereiten soll (siehe Bericht Seite 45).

Unweit der Schule Am Breiten Luch liegen die Flüchtlingsheime in der Rhinstraße und der Werneuchener Straße, seit einigen Monaten auch das Zuhause von Omar und Muhammad. Still­arbeitsphase im Klassenraum: Die beiden Achtjährigen aus Syrien schieben Buchstabenkärtchen auf ihren Tischen hin und her und flüstern leise auf Arabisch miteinander: Könnte das ein „A“ sein? Und wo ist bloß das passende Bild zum Buchstaben?

Muhammad ist nicht bei der Sache, die ganze Stunde über hält es den schmächtigen Neunjährigen kaum auf seinem Stuhl. Später, in der Pause, erzählt er mühsam von seinem Vater, auf den er und seine Mutter und die beiden Schwestern warten. Ist der Vater noch in Syrien? Der Junge nickt. Für einen Moment hört er auf zu zappeln. „Kommt bald“, sagt er mit Nachdruck.

Die zehnjährige Mersina am Nachbartisch hat das Buchstabenpuzzle in Windeseile gelöst. „Geh und hilf Hala“, sagt Lehrer Schlegel. Hala, vor einem Monat mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern aus Syrien angekommen, ist erst seit zwei Tagen in der Lerngruppe und spricht noch kein Wort Deutsch. Ratlos schiebt sie die Kärtchen auf ihrem Tisch hin und her und lächelt verlegen.

Der rote Faden fehlt, an dem sich die Lehrer entlanghangeln können

Marina Greckl, Lehrerin von Flüchtlingskindern in Steglitz

Das Leistungsniveau in den Willkommensklassen reicht von Kindern, die in ihren Herkunftsländern noch keine Schule besucht haben, bis zu Kindern wie Mersina, die in Serbien in die 4. Klasse ging. Seit fünf Monaten ist sie in Deutschland. Die Aufgaben, die Lehrer Schlegel der Klasse gibt, scheinen sie eher zu langweilen. Unruhig rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her und reckt den Finger kerzengerade in die Luft, als ihr Lehrer nach den Wochentagen fragt. Mersina zählt sie auf: Montag, Dienstag, Mittwoch, dann die Monatsnahmen, die Jahreszeiten.

Wie wird man als Lehrer diesen unterschiedlichen Lernansprüchen der Kinder gerecht? Wie beschäftigt man gleichzeitig eine Mersina und ein Mädchen wie Hala?

Ein Lehrer sagt: „Ich versuche eine Aufgabe auf die verschiedenen Niveaus der Schüler herunterzubrechen“ Fotos: Wolfgang Borrs

Fortsetzung von Seite 41

Johannes Schlegel sitzt im Lehrerzimmer. Es ist große Pause, die Flüchtlingskinder spielen gemeinsam mit den FörderschülerInnen draußen im Hof. Schlegel, väterliche Ausstrahlung, leichter russischer Akzent, kam selbst vor 17 Jahren aus Sibirien nach Deutschland. In Russland arbeitete er als Deutschlehrer, erzählt er. In Deutschland betreute er zunächst russische Spätaussiedler. „Ich weiß“, sagt er ruhig, „was es heißt, in einem Land fremd zu sein.“

Im Klassenraum versuche er „eine Aufgabe auf die verschiedenen Niveaus der Schüler herunterzubrechen“. Das klingt ein wenig vage, Schlegel findet das offenbar auch. Er überlegt. „Musik“, sagt er dann. Auch mit Musik lasse sich viel erreichen. Das habe er zumindest für seinen Unterricht herausgefunden. „Die Kinder singen mit und üben die Aussprache, auch wenn sie vielleicht nicht immer alles verstehen.“

Selbstversuch und Irrtum ist das vorherrschende Unterrichtsprinzip in den Willkommensklassen – denn es gibt weder einen Rahmenlehrplan noch einheitliche Unterrichtsmaterialien. Die KollegInnen hätten schon Stunden vor dem Kopierer verbracht, um sich quasi ihr eigenes Lehrbuch zusammenzukopieren, erzählt Schulleiterin Isolde Adling.

Seitens der Senatsbildungsverwaltung gibt es lediglich die Vorgabe, dass die Schulen sich am Europäischen Referenzrahmen für Sprachen orientieren sollen, der zum Deutschen Sprachdiplom führt. Mit diesem Sprachnachweis kann man sich dann beispielsweise an Universitäten bewerben. „Das ist für uns als Grundschule aber eher irrelevant, das richtet sich an Oberschüler“, sagt Adling.

Seit vergangenem Schuljahr habe man nun immerhin ein geeignetes Deutschlernbuch für die Jüngsten gefunden. Die 60-Jährige, strenger, weißer Zopf, herzliches Lachen, blättert in einem schmalen Büchlein, auf einer der Seiten die Noten für das Kofferpacklied. „Dass es da jetzt Bedarf gibt, das haben die Verlage überhaupt noch nicht auf dem Schirm“, sagt Adling. „Die meisten Lehrbücher richten sich an Jugendliche oder Erwachsene.“

„Der rote Faden fehlt, an dem sich die Lehrer entlanghangeln können“, sagt auch die Steglitzer Gymnasiallehrerin Maria Greckl, die an der Helene-Lange-Sekundarschule Flüchtlingskinder unterrichtet. Im Auftrag der Senatsbildungsverwaltung bietet sie außerdem Fortbildungen für die KollegInnen in den Berliner Willkommensklassen an – denn mitunter hapert es auch schlicht an deren fachlichen Voraussetzungen.

Zwar stellt die Senatsbildungsverwaltung nach eigenem Bekunden für die Willkommensklassen nur noch LehrerInnen mit der Zusatzqualifikation „Deutsch als Fremdsprache“ ein. Doch die Schulleitungen können natürlich auch auf ihr bestehendes Kollegium zurückgreifen. „Es gibt einige in den Seminaren, die tatsächlich noch wenig Erfahrung mit Fremdsprachendidaktik haben“, sagt Greckl. Die also gar nicht so genau wissen, wie man das überhaupt unterrichtet, Deutsch als Fremdsprache. Verpflichtend sind die Weiterbildungen übrigens nicht.

Aufgeschmissen seien viele KollegInnen auch, wenn Analphabeten in den Willkommensklassen sitzen. „Das ist, als ob sie einen Erstklässler in eine zehnte Klasse setzen,“ sagt Greckl. Damit müsse man umgehen können. Doch ein Schulungsangebot für die KollegInnen? Fehlanzeige. Greckl plädiert auch dafür, gesonderte Alphabetisierungsklassen einzurichten. Einige Schulen, wie auch die Helene-Lange-Schule und die Schule Am Breiten Luch, machen das bereits.

Die fachlichen Herausforderungen sind das eine, die emotionale Belastung für die WillkommenslehrerInnen ist das andere. Wie grenzt man sich ab von den Schicksalen, die einem im Klassenraum begegnen? Schwer sei das, sagt Lehrer Johannes Schlegel. „Manchmal geht es auch einfach gar nicht“, sagt er, die Arme verschränkt.

Schulleiterin Adling erzählt von einer Neuntklässlerin aus Serbien, einer Förderschülerin, die demnächst abgeschoben werde. „Sie ist seit fünf Jahren hier und fast fertig mit der Schule. Sie möchte Köchin werden, sie hat Pläne.“ Anfangs habe sie immer noch einen Bittbrief an die Ausländerbehörde geschrieben, wenn wieder eine Abschiebung in ein „sicheres Herkunftsland“ ansteht, sagt Adling. „Ich wusste ja, es bringt nichts. Und dennoch.“

Es gibt sie zwar auch, die schönen Geschichten, die mit Happy End. Adling erzählt von dem Jungen aus Afghanistan, der im Februar dieses Jahres in eine sechste Grundschulklasse gewechselt sei. „Am Schuljahresende gehörte er zu den zehn Besten seines Jahrgangs.“

Doch es läuft eben nicht immer so glatt. Da war das Mädchen, das jeden Morgen durchdrehte, wenn die Mutter sich morgens an der Klassenzimmertür verabschieden wollte. „Wir haben dann fünf Wochen lang die Mutter mit im Unterricht gehabt, sie konnte nicht mal auf die Toilette gehen, die Tochter wich ihr nicht von der Seite“, sagt die Schulleiterin. Das Mädchen hatte offenbar gerade den Vater verloren, er war in Syrien erschossen worden. Hilflos fühle man sich da, sagt Adling.

Die wenigsten WillkommenslehrerInnen haben Erfahrungen mit traumatisierten Kindern – und sie werden auch kaum darauf vorbereitet. Lehrerin Greckl sagt, man lade ab und an eine TraumapsychologIn oder -pädagogIn zu den freiwilligen Fortbildungen ein.

Zwar gibt es auch noch die ExpertInnen in den schulpsychologischen Beratungsstellen der Bezirke. „Aber das nützt mir nicht viel“, sagt Adling. „Die Leute dort können die Sprachen nicht, die wir bräuchten“, hat sie die Erfahrung gemacht. „Und die Kinder können wiederum noch nicht gut genug Deutsch, um sich auszudrücken.“ Immerhin eine Sozialarbeiterin hat Adling, die das Kollegium unterstützt – auf einer halben Stelle. Das ist nicht gerade viel Zeit, die da pro Willkommenskind bleibt.

Die Senatsbildungsverwaltung verweist auf die 3 Millionen Euro für „Sofortmaßnahmen“, die die Schulen für die Willkommensklassen abrufen könnten. Allein eine halbe Million Euro stehen für 26 zusätzliche Sozialarbeiterstellen bereit – die allerdings auf die 226 Schulen verteilt werden müssen, an denen es derzeit bereits Willkommensklassen gibt.

Zudem sind diese 3 Millionen Euro nur ein einmaliger warmer Geldregen. Da Prognosen über Flüchtlingszahlen eben immer nur Prognosen sein können, dürfte ein struktureller Mehrbedarf für die Integration von Flüchtlingskindern in den Schulbetrieb auch nie Eingang in den regulären Haushalt finden. Mit Variablen rechnet eine Finanzverwaltung eben nur höchst ungern.

Lehrer, die sich ihr eigenes Schulbuch zusammenkopieren. Eine Senatsbildungsverwaltung, die mit Notfallpaketen den Laden zusammenhält: Integriert wird in Berlin, wenn auch häufig nur irgendwie.

Eine Schulleiterin sagt: „Manche LehrerInnen haben Stunden vor dem Kopierer verbracht, um sich ihr eigenes Lehrbuch zusammenzukopieren“

Dennoch scheint es, aller Kritik zum Trotz, auch oft zu klappen. Mersina rechnet. „Zwei minus zwei ist null“, sagt sie, bevor es zur dritten Stunde klingelt.

Was sie denn an der Schule hier möge? Die quirlige Zehnjährige überlegt, dann sagt sie mit Nachdruck: „Einfach alles.“

Wenn sie mal groß sei, wolle sie übrigens Mathelehrerin werden. So wie Yelena, ihre Lehrerin in Serbien.

Mersina denkt nach. „Aber ich werde das hier“, sagt sie, „in Deutschland.“

Willkommen im Chaos

Asyl Integration durch Teilhabe am normalen Leben? Deutsch lernen mit „deutschen“ MitschülerInnen? Die Realität für neu angekommene Flüchtlingskinder in Berliner Schulen sieht anders aus

Es ist eine Nachricht mit Seltenheitswert: In Berlins chronisch vollen Klassenzimmern gibt es wieder Platzreserven. Rund 1.000 Kinder könne man noch in den bestehenden „Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“, vulgo Willkommensklassen, unterbringen, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung. Zusätzliche Klassen in der Nähe von neu eingerichteten Unterkünften seien „in Planung“, die Einstellungsverfahren für die zusätzlich benötigten Lehrkräfte liefen. Man fühle sich „auf die momentane Entwicklung“ der Flüchtlingszahlen „gut vorbereitet“, so eine Sprecherin zur taz.

Zu wenig Platz

Herzlich willkommen also im Integrationswunderland Berlin? Flüchtlingskinder, die spätestens vier Wochen nach ihrer Ankunft in Berlin, so das Ziel der Senatsbildungsverwaltung, in einer Lerngruppe Deutsch lernen, nebenher schon mal einige Stunden in einer „normalen“ Klasse sitzen und nach einem Schuljahr in den regulären Unterricht integriert werden: das ist die Idee hinter den Willkommensklassen. Doch die Realität sieht oft anders aus.

In Lichtenberg etwa gibt es offenbar so wenig Platz in den Schulen, dass die meisten Kinder der Erstaufnahmeeinrichtung Herzbergstraße nicht in die nächsten Schulen gehen – die Lehrer kommen zu ihnen. Seit Februar werden in dieser „Heim-Schule“ rund 60 Kinder, vor allem im Grundschulalter, von fünf Lehrern unterrichtet, zunächst im Kinderspielraum, inzwischen in angemieteten Räumen im selben Gebäude.

Von Integration durch Teilhabe am „normalen“ Leben, durch Kontakt mit „deutschen“ Kindern sind solche Zustände meilenweit entfernt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Heim-Schule offenbar auch nicht als Übergangslösung gedacht ist für eine Erstaufnahmeeinrichtung, die die Flüchtlinge (theoretisch) nach drei Monaten Richtung Gemeinschaftsunterkunft verlassen können. So gehen nach taz-Informationen nicht nur Kinder dorthin, die schon länger als sechs Monate im Heim leben, sondern auch solche, die inzwischen in andere Einrichtungen umgezogen sind.

Immerhin: Nach Auskunft der Senatsbildungsverwaltung ist die Lichtenberger Heimschule bislang eine Ausnahme. Und trotz der steigenden Flüchtlingszahlen bleibe man auch bei dem Ziel, „die Flüchtlingskinder in den Regelschulen unterzubringen“, so ein Sprecher zur taz.

Auch in Mitte ist Schulstadträtin Sabine Smentek (SPD) stolz darauf, „alle Willkommensklassen direkt in den Schulen unterzubringen.“ Tatsächlich werden derzeit im Bezirk 507 Kinder in 60 Willkommensklassen unterrichtet, das sind rund 8,5 SchülerInnen pro Klasse. Die von der Senatsbildungsverwaltung gesetzte Obergrenze liegt bei 12 Kindern.

Zu wenig Sicherheit

Gemeinsam mit den Schul­trägern habe man „genau geschaut, wo an welcher Schule noch kleinere Räume – Besprechungszimmer etwa – zur Verfügung stehen“, sagt Schulstadträtin Smentek. Räume unter 45 Quadratmetern, die damit zwar zu klein sind für reguläre Klassenräume – aber nicht für maximal 12 Willkommenskinder. Eine Prognose, wie lange der Vorrat an solchen Räumen noch reicht, wagt Smentek aber nicht. „Wir bekommen täglich neue Wasserstandsmeldungen.“

Ein weiteres Problem neben der zunehmenden Raumknappheit: Nicht immer werden die Willkommensklassen dort untergebracht, wo die Kinder nahtlos in eine „normale“ Klasse wechseln könnten. Die Lichtenberger Schule Am Breiten Luch etwa ist eine sonderpädagogische Förderschule. Die angeschlossene Grundschule nimmt ausschließlich Willkommenskinder auf – fast alles Flüchtlingskinder aus den Heimen in der Werneuchener Straße und der Rhinstraße. Zwangloses Deutschlernen in gemeinsamen Unterrichtsstunden mit „deutschen“ MitschülerInnen findet auch hier nicht statt. Zudem steht für die Kinder, wenn sie gut genug Deutsch können, der Wechsel in eine normale Grundschule an.

Dieser Wechsel von der Willkommens- in eine Regelklasse ist auch in anderen Fällen ein Problem. Denn nicht immer übernehmen die Schulen ihre Willkommensschüler in die „normalen“ Klassen, sagt Walid Chahrour, Leiter des Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migranten (BBZ). Gar nicht selten käme es daher zu „mehr oder weniger langen Schulunterbrechungen“, bis ein neuer Schulplatz gefunden sei, kritisiert er.

Schwierig wird es für die Kinder auch, wenn sie von einer Willkommensklasse in eine andere wechseln müssen, weil die Familie einen Heimplatz in einem anderen Bezirk oder – was immer seltener wird – eine Wohnung anderswo zugewiesen bekommt. Eben hat sich ein Kind an einem Ort eingelebt, Freunde gefunden, schon muss es wieder weg. „Das ist für die Kinder, von denen die meisten schon viel durchgemacht haben, nicht ideal,“ sagt die Lichtenberger Schulleiterin Isolde Adling. Chahrour vom BBZ fordert für solche Fälle mehr Flexibilität von den Bezirken – und die Bereitschaft, nach den Bedürfnissen der Kinder zu entscheiden.

Wenig hält er dagegen vom neuesten Vorstoß des Bezirksbürgermeisters von Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß (SPD). Komoß, der seit über einem Jahr klagt, dass sein Bezirk die vielen Flüchtlingskinder nicht mehr in Schulen unterbringen kann, hatte gegenüber der taz vorige Woche die Frage aufgeworfen, ob Flüchtlingskinder wirklich schon in der Notunterkunft und Erstaufnahmeeinrichtung beschult werden müssen, wenn sie doch perspektivisch verlegt werden, oft in andere Bezirke.

Zu wenig Normalität

Für Chahrour ist die Sache klar. „Kinder brauchen die Normalität des Schulalltags“, findet er – besonders wenn sie in einer Notunterkunft, einem Hostel oder gar in einer Turnhalle untergebracht seien. Auch die Bildungsverwaltung erklärt, für Kinder in Notunterkünften gelten Schulpflicht und das Recht auf Bildung. In Spandau, wo mit der ehemaligen Knobelsdorf-Kaserne inklusive Zeltstadt die größte Notunterkunft mit 1.700 Plätzen steht, sieht man das ebenso. Allerdings, so die Sprecherin des Heimbetreibers Prisod, dauere es oft Wochen, bis die Menschen registriert würden und eine Meldung ans Schulamt erfolgen kann (siehe Kasten links oben).

Noch länger auf ihren Schulplatz warten müssen derzeit die „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“ (UMF), wie sie im Fachjargon heißen, also Jugendliche, die ohne Eltern hierher geflohen sind. Weil die für sie zuständige Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) völlig überlastet ist, leben derzeit mehr als 600 von ihnen bei Verwandten oder in Notunterkünften, etwa Hostels. Dort warten sie Monate – im Moment bis Januar – auf ihr Erstgespräch beim EAC und die Klärung von Alter, Bildungsstand und Betreuungsbedarf, wie der Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, Ilja Koschembar, zugibt. Bis dahin gibt es für die Teenies keine Willkommensklasse, sondern allenfalls ein, zwei Deutschstunden am Tag im Hostel. Anna Klöpper

Susanne Memarnia