Über falsche und richtige Kennzeichnungspflichten
: Wegen Umbau geschlossen

Darum

von MaikSöhler

Höhöhö! Wie groß muss das Gelächter in der PR-Abteilung diverser Konzerne gewesen sein, als man dazu überging, die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln ins Absurde zu wenden? „Laktosefrei“ steht nun auf der Verpackung eines eingeschweißten Rindersteaks. „Glutenfrei“ ist ein Käse daneben. Kann ich demnächst im Baumarkt Gips erwerben, der „ohne Ei“ hergestellt wurde? Werden bald von einer deutschen Werft Kriegsschiffe auslaufen, an deren Rumpf ein Aufkleber damit wirbt, garantiert „keine Spuren von Nüssen“ zu enthalten?

Liebe Allergiker, bitte verzeiht mir. Ihr könnt nichts dafür. Der Kapitalismus macht sich einen Spaß auf eure Kosten. Und auf meine gleich mit. Denn die wesentlichen Dinge sind immer noch nicht gekennzeichnet. Vorpubertierende und pubertierende Kinder zum Beispiel. Das ist gefährlich. Denn manchmal vergesse ich als Vater einfach, dass da gerade Prozesse im Gang sind, die das tägliche Zusammenleben erschweren.

Meine Tochter, das schwarz-gelbe Kind, war auf Klassenfahrt. Fünf Tage lang im Harz. Ich habe mich sehr darauf gefreut, dass sie am Freitagabend, wenn ich aus der taz heimkomme, wieder da ist. Es war ein langer Tag, dieser Freitag. Nur so ist es zu erklären, dass ich etwas Simples vergessen habe: Ein Kind, das vor der Klassenfahrt in der Pubertät war, ist es danach auch. Und mehr noch: Es war unter seinesgleichen, potenzierte Peer-Group-Pubertät plus Schlafmangel plus … ich will es gar nicht wissen.

Um es kurz zu machen: Die Vorfreude war unangebracht, schnell überschlug sich die Stimme, Türen knallten. Schön, dich wiederzusehen, Tochter. Zurück zur Kennzeichnungspflicht. Damit falsche Erwartungen gar nicht erst entstehen, wäre ein großer Aufkleber am Kopf des Kindes hilfreich: „Wegen Umbau geschlossen!“

Aus der Neurologie wissen wir, dass während der Pubertät 80 bis 90 Prozent des Gehirns in stetiger Veränderung sind. Ich bin kein Neurologe, erstelle aber trotzdem eine Forschungsarbeit, die nach Erscheinen die Neurologie verändern wird. Mit meiner These, dass 160 bis 180 Prozent des Gehirns betroffen sind, werden sich Wissenschaftler noch lange beschäftigen. Wie auch immer: Konstanz und Berechenbarkeit sind in der Pubertät nicht zu erwarten.

Auch das andere Kind, das schwarz-weiße, sollte gekennzeichnet werden. Dabei böte sich an: „Vorsicht! Umbauarbeiten haben begonnen!“ Es mag an der großen Schwester liegen, dass nun auch Zehnjährige schon in der Vorpubertät sind. Oder daran, dass in seiner Grundschule in den Klassen vier bis sechs jahrgangsübergreifend gelernt (JÜL) wird. Ein Argument bei der Einführung von JÜL war, dass bei Sechstklässlern die Pubertät abgeschwächt werde, wenn sie mit nichtpubertierenden Viertklässlern zusammen seien. Woran niemand dachte, war, dass die Viertklässler im Gegenzug das Pubertätsverhalten imitieren würden.

Auch ich brauche eine Kennzeichnung. Meine Mutter, der meine Pubertät seltsamerweise immer noch sehr präsent zu sein scheint, hat sie auch gleich knackig formuliert: „Höhöhö. Da musst du jetzt durch.“

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