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dvdeskHochöfen und Heugarben auf dem Weg zur reinen Abstraktion

Die Freuden des Fünfjahresplanes: Dziga Vertovs Propaganda- und Avantgardefilmmonument „Entuziazm“ (1930)

Die DVD ist das Medium, das mehr als ein anderes zuvor die Geschichte des Kinos gegenwärtig zu halten erlaubt. An der Schnittstelle zwischen der virtuellen, freien Verfüg- und Kopierbarkeit der Internet-Archive (beispielhaft: www.archive.org), den geografischen, technischen, finanziellen und zeitlichen Beschränkungsmechanismen der subventionierten Filmmuseen und Festivals und der durch Kopierschutz und Regionalcodes geregelten Verwertbarkeit auf Kapitalmärkten vermittelt die DVD zwischen den Interessen von Fans, Industrien, Cineasten und auch der Wissenschaft.

In Frankreich gibt es längst einen regen DVD-Markt von Ausgrabungen lange nicht verfügbarer Filme, nicht nur von bereits etablierten Klassikern, sondern auch von Wiederentdeckungen, die bisher eher auf die Retrospektiven von Festivals und Filmhäusern beschränkt waren. Man muss nur die neueste Ausgabe der Cahiers du Cinéma durchblättern: Es gibt inzwischen mehr Werbeanzeigen für ambitionierte DVD-Ausgaben als Hinweise auf kleine Festivals oder filmbezogene Veranstaltungen. Die Zeitschrift hat nicht nur ihre eigene DVD-Edition, in der sie unter anderem Werke von Philippe Garrel, Jean-Luc Godard, Claire Denis herausgibt. Beim zum zweiten Mal von den Cahiers ausgeschriebenen „Prix DVD“ konkurrieren neben mustergültigen Ausgaben von Wong Kar-Wais „2046“ oder der Restauration von Sam Fullers „The Big Red One“ Editionen der Filme des Situationisten Guy Debord, von Maurice Pialat, John Ford und Rainer Werner Fassbinder.

Da passt ein neues Projekt ins Bild, für das sich verschiedene deutschsprachige Filmarchive zusammengetan haben. Geplant ist, selten gezeigte Schlüsselwerke aus den Beständen auf DVD wieder allgemein zugänglich zu machen, das heißt ohne Regionalcode-Beschränkungen. Darüber hinaus wird es durchweg neben den deutschen auch englische Untertitel geben. Den Anfang der Edition macht das Wiener Filmmuseum, das eine der Inkunabeln des Avantgardefilms aus seinen Archiven zur Verfügung stellt, Dziga Vertovs „Entuziazm“ („Simfonija Donbassa“) aus dem Jahr 1930. Um die am Filmmuseum geleistete Arbeit vorzuführen, gibt es auf einer DVD zwei Fassungen des Films, die originale Kopie von Gosfilm und eine Restauration aus dem Jahr 1972 durch den langjährigen Leiter des Wiener Museums, Peter Kubelka. Die Restauration ist allerdings nichts anderes als eine Resynchronisation, die Bild und Ton des Films, im vorliegenden Original gegeneinander verrutscht, wieder in den richtigen Bezug zueinander bringt.

Um die Bedeutung dieser Wiederherstellung zu erkennen, muss und darf man nicht so weit gehen wie Peter Kubelka, der, dem ideologischen Gehalt des Films gegenüber von seliger Blindheit geschlagen, in „Entuziazm“ die Darstellung einer „Musik der Ereignisse“ als zentrale Botschaft ausmachen will. (Es gibt auf einer zweiten DVD eine Dokumentation, in der Kubelka die Methoden seiner Resynchronisation erläutert und anschaulich vorführt). „Entuziazm“ entwirft in atemberaubenden Montagen nicht nur der Bilder, sondern eben auch von Bild und Ton eine Utopie der Arbeit am Fünfjahresplan, am Beispiel von Kohlebergbau, Metallurgie und Landwirtschaft. Das Mit- und Gegeneinander von Bild und Ton in Vertovs erstem Tonfilm hat dabei vor allem die Aufgabe der Zurichtung und Mobilmachung von Wirklichkeit und Betrachter. Die Form nähert sich dabei freilich der reinen Abstraktion und lässt alle einfachen Ideologien, eindeutigen Unterscheidungen und Naturalismen weit hinter sich. Kein geringes Verdienst der Edition ist es, die entscheidende Frage, ob der Avantgardismus der Form und der der Ideologie hier letztlich mit- oder gegeneinander arbeiten, en détail diskutierbar zu machen.

Keine Frage ist dagegen: Die neue „Edition Filmmuseum“ ist ein Ereignis. Bereits angekündigt sind unter anderem Editionen von Erich von Stroheims „Blind Husbands“ und von „Anders als du und ich“, dem späten Film des Nazi-Regisseurs Veit Harlan aus dem Jahr 1957. Acht oder neun DVDs im Jahr sind geplant, in Vorbereitung sind Ausgaben unter anderem zu Achternbusch und Costard, Dieterle und Eisenstein, Pabst und Welles. Die Zukunft der Vergangenheit des Kinos sieht dank DVD anders aus. Mit dieser Edition lässt sich ein Stück davon in Augenschein nehmen. EKKEHARD KNÖRER

Dziga Vertov: „Entuziazm“ („Simfonija Donbassa“), UdSSR 1930, 65 Min., zwei DVDs, bis 15. 11. Vorzugspreis 24,95 Euro, danach 29,95 Euro, Bezug über www.edition-filmmuseum.de

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