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NAHOST Volker Perthes macht ausgerechnet Iran und Saudi-Arabien als die zukünftigen Stützen einer regionalen Sicherheit ausZwei Böcke als Gärtner

Mädchen in Aleppo, wo sich seit mehr als drei Jahren Regime und Rebellenmilizen erbitterte Kämpfe auf Kosten der Zivilbevölkerung liefern Foto: reuters

von Christiane Müller-Lobeck

Sie gehört dieser Tage neben dem Bekenntnis zur freundlichen Aufnahme von Flüchtlingen in jede Politikerrede: die Beteuerung, man müsse auch die Fluchtursachen bekämpfen. Damit es nicht bei solchen Sonntagsreden vor laufender Kamera und sächsischer Kleinstadtkulisse bleibt, gibt es im Bauchraum der Po­litik Berater wie Volker Perthes.

Von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der er vorsteht, lassen sich Bundestag und Bundesregierung seit Jahren die Funktionsteile warten. In dem Band „Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen“ macht der langjährige Beobachter der Region seine jüngsten Lösungsvorschläge einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

Daran ist schon allein erstaunlich, dass jemand überhaupt noch von Lösungen spricht, haben doch sowohl örtliche als auch internationale Akteure für Nahost zuletzt kaum Konstruktives in den Blick genommen. Perthes macht im Nahen Osten, den er weit fasst, indem er den Maghreb, den Iran und die Türkei einbezieht, zunächst mal eine Zeitenwende aus.

Ausgelöst durch den Arabischen Frühling – die Aufkündigung des, wie er es nennt, „ungeschriebenen Gesellschaftsvertrags“, demzufolge autoritäre Regime im Austausch für wirtschaftliches Wachstum von der Bevölkerung akzeptiert wurden –, befinde sich die postosmanische Ordnung heute in völliger Auflösung, mit einer Reihe von gescheiterten Staaten und ­solchen, die es werden könnten.

Die Konfessionalisierung der Konflikte in der Region hält Perthes momentan für unabänderlich

Anders als früher gebe es keine ausländische Macht mehr, der es noch darum gehe, „Regimewechsel zu forcieren oder Staaten in der Region neu zu ordnen. China hat sich in dieser Hinsicht ohnehin immer zurückgehalten; die meisten Europäer haben schon die Irak-Politik von George W. Bush abgelehnt und sind – wie zuvor bereits Russland beziehungsweise die Sowjetunion – durch ihre Afghanistan-Erfahrungen skeptischer geworden, was ihre Möglichkeiten im Hinblick auf umfassende Transformationsprozesse in Ländern außerhalb des eigenen Kulturkreises anbelangt. Die USA schließlich haben aus dem Irak-Krieg gelernt.“

Berufsbedingt konziliant merkt Perthes an, gerade Europa sei, nachdem es wenig getan habe, friedliche Transformationsprozesse zu unterstützen, nun schlecht beraten, darauf eine „angstgetriebene Politik der Abschottung gegen die Region und ihre Menschen“ folgen zu lassen. Zu einem realistischen Blick auf die Lage gehöre aber auch, sich klarzumachen, dass mit einem schnellen Ende der Konflikte und Kriege nicht zu rechnen sei.

Als wegweisend sieht Perthes die diplomatischen Bemühungen an, die in das Atomabkommen mit dem Iran mündeten. Die 13 Jahre, die es bis zum Abschluss brauchte, sind nicht nur eine gute zeitliche Messlatte für alle Diplomatie, die da kommen mag, auch ist das Abkommen überhaupt die Voraussetzung für weitere Verhandlungen, vor allem, wenn es um Syrien und den Irak geht.

„Ein Essay“, steht auf dem schmalen Buch, aber ein moralisierender ist es nicht. Wie Kurt Tucholsky es sich vom Essayisten wünschte, auch wenn er gegen die großsprecherische „Zeitenwende“ sicher geätzt hätte, drückt Perthes die verwickelten Dinge einfach aus und lässt seine Leser aufs Angenehmste teilhaben an seinen gründlichen Überlegungen und am Durchspielen verschiedener Szenarien. Wem regelmäßig der Kopf brummt beim Auseinanderhalten der muslimischen Konfessionsgruppen, die sich als Islamischer Staat, Hisbollah, Muslim- oder sonstige Brüder wahlweise an die Gurgel gehen oder sich verbünden, findet hier Erleichterung.

Die Konfessionalisierung der Konflikte in der Region, deren Förderung durch die autoritären Regime er übersichtlich schildert, hält Perthes zumindest momentan für unabänderlich. Und ohne eine stärkere Machtteilung in allen fraglichen Staaten, ohne mehr Teilhabe aller Bevölkerungsteile und -schichten mache man den Truppen des Islamischen Staats die Ausbreitung leicht. Ansonsten lasse sich der Islamische Staat aber nur militärisch besiegen.

Das darf man nicht verstehen als Bevormundung der lokalen Akteure. Perthes steht für einen zwar von demokratischen Werten geprägten, aber dennoch zutiefst pragmatischen und ­insofern antipaternalistischen außenpolitischen Zugang. Es überrascht trotzdem, dass er am Ende mit dem Iran und Saudi-Arabien ausgerechnet die totalitärsten der dortigen Nationen am Zug sieht: Sie seien „die wichtigsten Antagonisten auf der regionalen Bühne“ und die zugleich stärksten funktionierenden Staaten in Nahost.

Selbstverständlich sieht auch er beide als Teil des Problems an. Wenn man auf ihre Politiker einwirke, sollten auch die dortigen Menschenrechtsverletzungen auf den Tisch. Doch es muss dahin kommen, meint Perthes, dass die beiden nicht mehr sämtliche umliegenden Länder destabilisieren und sich allerorten gegenseitig in die Parade fahren. Ohne ihr Zutun sei kein Ende des Kriegs in Syrien, sei keine Lösung in der Region zu haben. Nur der Iran und Saudi-Arabien seien fähig, die Stützen eines regionalen Systems kollektiver Sicherheit zu werden. Ist die Lage derart desolat, dass man zwei Böcke zu Gärtnern machen muss? Da kann sich schon mal ein Haufen Entspannungsdiplomaten in Schale werfen.

Volker Perthes: „Das Ende des Nahen Osten, wie wir ihn kennen“. Suhrkamp, Berlin 2015, 144 Seiten, 14 Euro

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