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WIE SIND WIR DENN DRAUF?Ein Traum für Traditionalisten

Jetzt also auch die Chefin. Einfach mal so ein Ding gekauft, ein Abzugsloch in die Wand bohren lassen und angeheizt: Abends den Ofen zu schüren, ist voll im Trend. Ein paar Holzscheite rein, ein Glas von dem guten Roten in die Hand, was Klassisches auflegen und gedankenverloren in die Flammen schauen. Das Heimelige vorm heimischen Herd hat schon was. Dazu braucht es ja noch nicht mal ein eigenes Haus, nein auch in der Mieterstadt Berlin lässt sich so ein Ofen oft problemlos installieren, das funktionierte früher ja auch überall. Nur dass es heute weniger ums Heizen, sondern ums In-die-Flammen-Gucken geht, weshalb die Einwurfklappe fürs Holz auch unbedingt durchsichtig sein muss.

Klar, es hat was Widersprüchliches. Man zieht in die Großstadt, um das wilde Leben zu leben. Und schafft sich dann einen Kamin an wie in der Holzhütte auf dem Land. Doch genau das macht den Reiz aus: Wer in Berlin wohnt, kann beides haben. An einem Abend von einer abgerockten Kneipe zur nächsten ziehen. Am anderen Tag dann den Ofen anfeuern.

Wobei das mit dem Heizen tatsächlich was bringt und sich dadurch die Gas- oder Ölheizung deutlich runterdrehen lässt. Deswegen braucht der Öko von nebenan, der seine politisch korrekten Bioeinkäufe selber nicht aus einem Fahrradanhänger, sondern immer aus seinem Auto zerrt, auch gar nicht so böse schauen. Der soll bloß nix von Ökobilanz, CO2-Ausstoß und Feinstaub erzählen.

Ersatz für Drachentöter

Umsonst ist der Spaß allerdings nicht: Ein paar hundert Euro plus Einbau muss man schon investieren, nach oben offen. Beim Holz halten sich die Kosten jedoch in Grenzen. Der Raummeter, fertig gespalten, kostet zwar schon mal 90 Euro. Aber es geht ja auch anders: Ungespalten bekommt man bei eBay drei Raummeter gut abgelagerte Birke für knapp 70 Euro. Das reicht den halben Winter. Und bei der nächsten Baumfällung um die Ecke lässt sich ab und zu ganz legal was mitnehmen. Dann braucht es bloß noch ein gut belüftetes Eckchen, weil das Holz trocknen muss.

Danach kommt der größte Spaß: die Baumteile kleinkriegen. Motorsäge gilt nicht, Bügelsäge und Axt sind angesagt. Da kann man sich auch als Normalmensch als Abenteurer fühlen. Ein bisschen wie die Helden im Märchen, die immer mit Drachen kämpfen und Prinzessinnen befreien. Drachentöten ist nicht mehr, weil ausgestorben. Und Prinzessinnen können sich heute meist selbst befreien. Aber einen Riesenstapel Holz klein hauen, das geht immer noch.

Einen Nachteil hat die Sache mit dem Vorm-Kamin-Sitzen allerdings: Sie macht süchtig. Kaum bei Freunden angekommen, geht der Blick suchend durch die Wohnung. Doch für solche Notfälle gibt es Feuer und passenden Knistersound ja auch „to go“: auf DVD. STEFAN ALBERTI

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