BASKETBALL Dennis Schröder ist bei der EM mit großem Draufgängertum in die Rolle des Teamleaders geschlüpft. Komplett ausfüllen konnte der 21-jährige NBA-Profi von den Atlanta Hawks sie noch nicht: Die Reizfigur
AUS BERLIN Markus Völker
Chris Fleming weiß sehr gut, was von einem Aufbauspieler verlangt wird. Er war früher selber einer. Er musste das Spiel lesen und lenken. Das ist so ähnlich wie bei einem Zehner im Fußball, dem Führungsspieler. Fleming, der als Spieler nie auf der ganz großen Bühne gestanden hat, im College bei der University von Richmond und in Deutschland in Quakenbrück, ist seit Dezember 2014 Basketball-Bundestrainer, und nach dem Aus seines Teams in der Vorrunde der Europameisterschaft war er „höllisch enttäuscht“. Fleming, der in der kommenden Saison auch als Assistenztrainer bei den Denver Nuggets in der NBA arbeiten wird, ließ während dieser EM verdammt viele Nerven. Vor allem Dennis Schröder strapazierte das Nervenkostüm des 45-Jährigen arg. Aber er attestierte seinem Aufbauspieler trotzdem eine gute Turnierleistung, obwohl die Deutschen nur eine von fünf Partien gewonnen haben – die gegen Island.
Dennis Schröder erzielte im Schnitt 21 Punkte pro Partie, gab jeweils sechs Pässe, die zu Korberfolgen führten. Drei enge Spiele gegen Serbien, Italien und Spanien gingen aber allesamt verloren, und Schröder hatte jedes mal seinen Anteil daran. Gegen Spanien hätte er am Donnerstagabend sein Team in die Verlängerung bringen können, doch sein letzter Freiwurf sprang vom Ring, und Spanien siegte mit 77:76. Fleming beklagte den Eigensinn von Schröder, der mit gerade mal 21 Jahren in die Rolle des Teamleaders geschlüpft war, und die mangelnde Ballzirkulation des Point Guards. Wenn die Pässe also hin und her geflogen wären, und der Gegner nicht mehr gewusst hätte, auf welche Weise die Deutschen den Korb attackieren, dann wäre vielleicht noch ein weiterer Sieg herausgesprungen, glaubt der Coach.
Schröder, der nach zwei Jahren NBA bei den Atlanta Hawks ein etwas hypertrophes Selbstbewusstsein entwickelt hat und seinen Mitspielern in der DBB-Auswahl mit seiner Attitüde manchmal ziemlich auf den Geist gegangen ist, würzte seine überragende Punktausbeute eben auch mit vielen Ballverlusten und teilweise vogelwilden Pässen. Und nach dem Spiel gegen Spanien beging Schröder ein Sakrileg: Er kritisierte den Trainer. Schröder findet, er sei schon in einer Position, in der er sich so etwas leisten kann. Fleming habe in der Schlussphase die falsche Entscheidung getroffen. Tags darauf entschuldigte sich Schröder via Twitter für diesen Lapsus.
Es ist vielleicht auch diese Unangepasstheit – manche meinen: seine grenzwertige Arroganz –, die Schröder so weit gebracht hat. Er ist ja relativ spät in die Vereinsstrukturen des Basketballs eingestiegen, wurde in Braunschweig auf einem Freiplatz entdeckt und startete sehr schnell in der Bundesliga durch. Er zockt lieber, als dass er ein Spiel verwaltet. Er zieht lieber zum Korb, als dass er den x-ten Alibipass zum Nebenmann spielt. In Schröder brodelt immer noch das wilde Temperament eines Freiplatz-Spielers.
So einer lässt sich nicht immer domestizieren und einbinden in Strukturen, die von Basketball-Trainern so gern vorgegeben werden. Das Ungezügelte hilft Schröder sicherlich, in der NBA voranzukommen. Im europäischen Verbandsbasketball wird es da schon schwieriger, zumal Schröder in der NBA nur ein Ergänzungsspieler ist, in der Auswahl des deutschen Basketball-Bundes aber die ultimative Verantwortung übernehmen muss. Es war Dirk Nowitzki selbst, der Schröder die Rolle des Leaders zuerkannt hat. Das war eine extrem schwere Bürde, an der sich der 21-Jährige in Berlin bisweilen verhoben hat.
Seine Defizite sind offenkundig. Er trifft zu schlecht von der Dreipunktlinie. In den NBA-Playoffs lag seine Trefferquote aus der Ferne bei 23,5 Prozent – wobei er nur etwa zwei Dreier pro Spiel überhaupt versuchte. Bei der Basketball-EM hat der 1,88 Meter große Schröder nur im Spiel gegen Spanien mit einer guten Dreipunktquote von 50 Prozent überzeugen können; davor lag sie bei 23,1 Prozent. Das ist zu wenig. In kniffligen Situationen verliert Schröder zu oft die Übersicht, trifft falsche Entscheidungen. In Internetforen wird ihm unterstellt, ihm fehle die Spielintelligenz, um ein ganz Großer zu werden.
Dirk Nowitzki über Dennis Schröder
Schröder mag auf dem Parkett vorangehen, außerhalb des Spielfeldes verheddert er sich noch zu oft in einem Geflecht aus übergroßen Ansprüchen an sich selbst, einer gewissen Hybris und Unerfahrenheit. Sein Berater Ademola Okulaja, den Schröder als „Vater und großen Bruder“ bezeichnet, ist gut damit beschäftigt, die Ambitionen seines Schützlings einzuhegen. All das führte auch zu einer Disbalance im deutschen Team, wo sich die Frage auftat, wer denn nun das Sagen hat: Die älteren Spieler um Nowitzki und Heiko Schaffartzik oder der junge Überflieger Schröder?
All diese größeren und kleineren Streitereien, die auch Dirk Nowitzki nicht kalt gelassen haben, werden Schröder nicht aufhalten. Der Sohn eines Deutschen und einer gambischen Mutter weiß, was er will. Dennis Schröder möchte ein Star werden. Nowitzki ist mit Demut und konstant gutem Spiel in diese Rolle hineingewachsen, Schröder geht einen etwas anderen Weg. Man kann über den Mann mit der blonden Strähne im krausen Haar sagen, was man will: Er hat stets riesengroße Fortschritte gemacht: Mit elf Jahren stand er noch auf einem Freiplatz im Braunschweiger Prinzenpark, mit 20 für die Atlanta Hawks in 82 Spielen 49 Mal auf dem Parkett. In der letzten NBA-Saison machte er im Schnitt zehn Punkte.
Während der EM erwartete alle Welt, dass er den eher durchschnittlichen deutschen Basketball rettet. Das ist, zumindest im Jahr 2015, noch zu viel des Guten. Das wusste auch Coach Chris Fleming. Man muss noch etwas Geduld haben mit diesem Dennis Schröder.
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