der rote faden
: Journalismus
als Religion

Nächste WocheRobert Misik Foto: Erik Irmer

Durch die Woche mit

Daniel Schulz

Journalismus hat immer etwas Religiöses. Da gibt es Dogmen, die auf irgendeinen Toten zurückgeführt werden, obwohl der das so nicht gesagt hat. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ Das wird Hanns Joachim Friedrichs zugeschrieben, der moderierte unter anderem die Tagesthemen. Wie jedes gute Dogma gilt es je nach Konfession als lächerlich altmodisch, Grund allen Übels oder errettender Lichtschein in der Nacht.

Hanns Joachim Friedrichs

Während der Christ nicht vollkommen sein kann, weil seine irdische Natur ihn stets fehlerhaft bleiben lässt, so kann der Journalist nicht objektiv sein, weil er auch nur ein Mensch ist. Dennoch soll der Christ nach der Vollkommenheit streben und der Journalist nach Objektivität, beide vergeblich um etwas Unerreichbares ringend, aber so wird es gelehrt: Entscheidend ist das ehrliche Bemühen.

Bei euch piept’s wohl, sagen andere, das neutrale Betrachten der Welt ist Illusion! Es gibt nur subjektive Teilwahrheiten. Im Blick des Betroffenen, im Ich allein liegt Erkenntnis.

Johannes B. Kerner

Kein Wunder, dass viele LeserInnen glauben, sie gingen in die Kirche. In ihren Augen steuern die Redaktionen das Weltgeschehen – und müssten endlich dafür sorgen, dass Angela Merkel, die Politik, die Gesamtgesellschaft mal klar sieht. Oder sie sehen lächerliche Kretins am Werk, im besten Fall Relikte aus einer Zeit vor dem Internet, im schlimmsten Lügner, die verschleiern, was wirklich geschieht.

Mit jedem Machtverlust religiöser Institutionen gehen Fragen einher: Brauchen uns die Menschen nicht mehr? Sollten wir wieder mehr zu ihnen hinausgehen? Haben wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigt?

Bettina Röhl

Es gibt diese Diskurse, diese Entwicklungen seit Jahren, in der Auseinandersetzung um in Europa ankommende Flüchtlinge werden sie besonders kristallin. Journalisten können gar nicht anders, als für die Leidenden zu schreiben, oder? Selbst die sich dem Volksempfinden nahe wähnenden Bild und B. Z. haben am Mittwoch eine Beilage in arabischer Sprache herausgebracht, mit einem Berliner Stadtplan und wichtigen Anlaufstellen für Geflüchtete. Johannes B. Kerner moderierte am Donnerstag eine Flüchtlingsgala im ZDF. Ist das Heuchelei, was die Springer-Medien da betreiben? Oder pragmatische Nothilfe, wie sie von linken Zeitungen hätte kommen müssen? Und die Kerner-Sendung? Kitsch? Notwendige positive Emotionalisierung?

Bettina Röhl schreibt in einem Beitrag für den Blog „Tichys Einblick“ über den „Selektionismus der unmoralischen Moralapostel“, sie sieht Bekenntnis-Journalisten am Werk, die sich mit dem Bild eines ertrunkenen Kindes am türkischen Strand selbst in Szene setzen wollten. Frank Lübberding kritisiert im selben Medium den „Monothematismus“, welcher distanzlos eine deutsche Willkommenskultur propagiere. Er vergleicht die derzeitige Berichterstattung mit einem Kindergarten, denn Erwachsene besäßen die Fähigkeit zur Reflexion.

Frank Lübberding

In Zeit, Spiegel, Welt und FAZ tauchen Flüchtlinge seit etwa einer Woche zunehmend als individuelle Schicksale auf, auch in der Bildsprache, die Illustratio­nen von Strömen und Wellen weichen einzelnen Gesichtern. Ist das nicht gut? Hätte der Journalismus das nicht längst leisten müssen? Robert Misik hat in der Zeit darüber geschrieben, wie er syrische Kinder aus Ungarn nach Österreich geschmuggelt hat. Martin Kaul erzählt in der taz, wie er das Leid am Bahnhof in Budapest nur schwer erträgt und für Flüchtlinge einkauft. Haben sie journalistische Werte in Frage gestellt, verraten, ihre eigene Rolle vergessen?

„Ein Kollege schreibt mir daraufhin eine Nachricht, in der er mich fragt, ob sich das mit meiner Rolle als Journalist in Einklang bringen lässt. Ich sage, das klären wir später. Meine Antwort heißt ja.“ Schreibt Kaul aus Budapest. Und Misik: „Wer hier mit freien Plätzen im Auto wegfährt, braucht morgen nicht mehr in den Spiegel zu schauen.“ Mir selbst reichte eine Woche in einer ostukrainischen Schule, dann träumte ich nachts davon, in die Armee einzutreten. In irgendeine, die die Kinder dort beschützt. Aber was sollen die KollegInnen zu solchen Bekenntnissen sagen, die in Syrien und im Irak versuchen, ihre Arbeit zu tun und so ausgewogen, wie es ihnen möglich ist, zu berichten? Sind die etwa kalte Medienmaschinen, weil sie nicht öffentlich machen, was ihnen durch den Kopf geht?

Religionen müssen Antworten haben. Möglichst endgültige und einfache. Journalisten verspüren diesen Zwang auch. Derzeit ist es nicht leicht, welche zu finden. Vielleicht ist das eine gute Nachricht.