So ticken Nichtwähler

Demokratie Wie sehen typische Nichtwähler aus? Eine Studie zeigt, dass Demokratieverweigerer fast ausschließlich aus Milieus der Unterschicht stammen

Villenviertel oder Armengetto? Bürgerin an der Wahlurne Foto: Uwe Anspach/dpa

aus Berlin Ulrich Schulte

Die Bremer Bürgerschaftswahl im Mai belegte einen traurigen Trend: In dem armen Stadtteil Blumenthal mit vielen Hartz- IV-Beziehern lag die Wahlbeteiligung bei 31 Prozent. Ganz anders sah es in dem Villenviertel Bremen-Horn aus. Hier lag die Wahlbeteiligung bei 77 Prozent.

Wahlen sind in Deutschland längst nicht mehr sozial repräsentativ, das belegen mehrere Studien. Während die gut situierte Mittel- und Oberschicht ihre Interessen in der Wahlkabine artikuliert, bleiben Arme und Abgehängte zu Hause. Aber wie tickt er, der typische Nichtwähler? Das war bisher kaum erforscht. Eine Analyse der Bertelsmann Stiftung teilt jetzt die Masse der Nichtwähler anhand der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 in mehrere unterschiedliche Milieus auf.

Demnach ist die Wahlbeteiligung in den sozial schwächsten Milieus am niedrigsten. Besonders ausgeprägt ist die Wahlenthaltung bei den sogenannten „Prekären“ und den „Hedonisten“. Sie stellen zusammen ein gutes Fünftel aller Wahlbeteiligten, aber fast zwei Fünftel der Nichtwähler. Die zwei Gruppen sind also in Wahlergebnissen deutlich unterrepräsentiert.

„Prekäre“ Menschen gehören der Unterschicht an. Sie sind sozial benachteiligt, haben starke Zukunftsängste und neigen zu Ressentiments. Als „Hedonisten“ bezeichnen Soziologen die spaß- und erlebnisorientierte moderne Unterschicht, die sich Erwartungen der Leistungsgesellschaft verweigert. Zu dieser Gruppe gehören viele junge Menschen aus Westdeutschland.

Das Ergebnis widerlegt Theo­rien, die in der Politik immer wieder zu hören sind. Eine äußerte CDU-Generalsekretär Peter Tauber im Juni. Er vermutete, nicht zu wählen könne „Ausdruck von Zufriedenheit mit der Regierung sein“. Als vor der Bundestagswahl 2013 Intellektuelle ihre Unzufriedenheit mit allen Parteien kundtaten, stand die Frage im Raum: Wählen vielleicht die besonders Kritischen nicht?

Beide Vermutungen entlarvt die Bertelsmann-Studie als Randerscheinungen, die in der Masse der Nichtwähler keine Rolle spielen. „Nicht die Zufriedenen oder politisch besonders Kritischen verzichten auf ihr Wahlrecht, sondern vor allem sozial benachteiligte Menschen aus den Milieus der Unterschicht und der unteren Mittelschicht der Gesellschaft“, sagt Robert Vehrkamp, Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung.

Ganz anders sieht es in Milieus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht aus. Im liberal-intellektuellen Milieu, also der aufgeklärten Bildungselite, lag die Wahlbeteiligung bei 88 Prozent. Zum Vergleich: Im Schnitt wählten bei der Bundestagswahl nur 71,5 Prozent der Wahlberechtigten.

Ausgeprägt ist die Wahlenthaltung bei „Prekären“ und „Hedonisten“

Bei den Konservativ-Etablierten, dem klassischen Establishment, lag die Beteiligung bei 83 Prozent. Und bei den sogenannten Performern bei 81,3 Prozent – so bezeichnen die Forscher effizienz- und leistungsorientierte Menschen, die global-ökonomisch denken. Auch das sozial­ökologische Milieu, das den Grünen nahesteht, ist überrepräsentiert.

Interessant ist das Wahlverhalten der bürgerlichen Mitte. Zwar ist die Wahlbeteiligung mit 78,4 Prozent auch noch überdurchschnittlich hoch. Aber dieses Milieu passt sich seiner Umgebung an. Je höher der Anteil der sozial Schwachen in einem Viertel, desto niedriger fällt die Wahlbeteiligung in der bürgerlichen Mitte aus. Dieser Effekt funktioniert auch umgekehrt in gut situierten Vierteln.

Die Forscher ziehen keine Rückschlüsse auf die Parteienlandschaft. Aber offensichtlich ist: Während die soziale Spaltung Konservative, Liberale und Grüne stabilisiert, leiden SPD und Linkspartei unter ihr. Ein Effekt, der sich auch in Bremen beobachten ließ: Im Villenviertel Bremen-Horn bekam die FDP 22 Prozent.