Sommerfestival auf Kampnagl: Hafen der Träume
Im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagl eröffnet die Geheimagentur ein viertes Kreuzfahrtterminal im Hamburger Hafen.
Schon die Anfahrt gestaltet sich schwierig. Bereits in der Hafencity verabschiedet sich das Navi, zeigt „unbekanntes Terrain“, mit der Fahrt über die Elbbrücken verlassen die Zuschauer endgültig den urbanen Teil der Metropole. Riesige Lkws kommen einem entgegen, immer wieder führen Brücken über Kanäle und Nebenarme der Elbe, gigantische Schiffe leuchten am Horizont.
Menschen sind so gut wie keine zu sehen. Nur zehn Kilometer weit ist der Weg vom Hauptbahnhof bis zum Alternativen Kreuzfahrtterminal der Geheimagentur, nur zehn Kilometer Entfernung, aber dennoch befindet man sich am Ziel in einer komplett anderen Welt.
„Wir sind hier offshore“, erklärt ein Mitglied des Künstlerkollektivs, das sich weigert, die Namen seiner Mitglieder preiszugeben. Schon die Anfahrt sei Teil des Kunstprojekts. „Wir wollten die Hamburger durch eine Performance hier draußen dazu bewegen wahrzunehmen, wie viel Lebensraum ihrer Stadt sie nicht kennen, was für ein gigantisches Gebiet hier komplett unzugänglich ist“, sagt die Frau mit dem Arbeiter-Overall und den wilden Locken. Dann überreicht sie den Besuchern einen Boardingpass. Über eine kleine Brücke geht es in die Ruine der ehemaligen Oelkerswerft.
Die ist nicht viel mehr als ein riesiges Betonskelett, das zum Wasser hin offen ist. Dreckiger Sand bedeckt den Boden, das Gelände ist mit Schadstoffen verseucht. Klappstühle sind hier aufgebaut. Ein kleiner Wohnwagen mit Getränkeausgabe gegen Spenden und ein riesiger, aufblasbarer Plastikeisberg, füllen die Halle. An die Wand ist eine Karte des Hafens als unbekanntes Terrain gepinselt.
Angedeutetes Businesskostüm
Bei der Eröffnungsgala gucken rund 70 Personen auf den Elbekanal, während die Geheimhalter deklamieren, was aus ihrer Sicht falsch läuft in der Hansestadt. Im angedeuteten Businesskostüm nimmt eine von ihnen die Rolle eines Senators ein, preist die Unterstützung der Stadt für die Kreuzfahrtbranche und freut sich auf das neue, nunmehr dritte Terminal, an dem die Giganten von TUI bis Hapag Lloyd anlegen.
Eine andere schreit den Zorn über die Entkoppelung der Hafen-Area förmlich heraus. „Der Hafen ist doch nur eine Kulisse für schicke Cruise Days. Wir sehen ihn von überall, aber wir können ihn nicht betreten, wir brauchen den Hafen.“ Die Gruppe habe von der allmächtigen Hafenbehörde die strikte Auflage erhalten, auf keinen Fall mit dem Wasser in Berührung zu kommen. Das müsse man sich mal vorstellen, „das Wasser ist tabu“.
Aber dann folgt die symbolische Rückeroberung. Durch die offene Rückwand der Halle sehen wir wie die Frau durch die Industriebrache zum Kanal hinuntergeht, sich auszieht und hineinspringt. Applaus brandet in der Werftruine auf. Der Hafen als Lebensraum, der Kontakt des Menschen mit dem Wasser, ein erster Schritt ist gemacht.
Der Hamburger Hafen als Mikrokosmos
Der Umgang mit dem Hamburger Hafen als Mikrokosmos steht für die Geheimagentur stellvertretend für unseren Umgang mit dem Meer. „Mit den Kreuzfahrten verhält es sich wie mit dem Hafen“, erklärt ein anderer Geheimer. Das Meer sei nur noch Kulisse für riesige Spaßfabriken. „Es ist während der Kreuzfahrt sichtbar, aber jeder Kontakt wird vermieden“, eine echte Auseinandersetzung mit den fremden Küsten, den Atollen, Riffen und Inseln gibt es für das Gros der Kreuzfahrer nicht.
Weil die Zahl der Außenkabinen am wichtigsten für die Vermietung sei, würden die Schiffe immer weiter in die Höhe wachsen. Gleichzeitig entstünden zwischen den Außenwänden der schwimmenden Bettenburgen ein riesiges Vakuum, das gefüllt werden müsse. Dort spielten dann Kunstarbeiter und bespaßten diejenigen mit billiger Unterhaltung, die sich auf den Meeren langweilen – und in den Bars und Theatern an Bord immerzu nach innen gucken statt nach draußen – auf die See.
Diese Vakuum will Geheimagentur mit ihrem alternativen Kreuzfahrtterminal neu besetzen. „Wir wollen nicht länger Kunst im Schiff, sondern Seefahrt statt Kunst“, proklamieren sie, der Blick soll von innen nach außen gerichtet werden, das Meer nicht länger nur Kulisse, sondern wieder erfahrbarer Lebensraum werden, angefangen beim Hamburger Hafen.
Bis zum 23. 8. ist ihr Offshore-Terminal im Niemandsland geöffnet. Mit Barkassen wollen sie erste alternative Kreuzfahrten durchführen, bei denen auch mit den großen Cruise-Linern auf Tuchfühlung gegangen werden soll. „Cruisewatching“ statt „Walewatching“ ist das, auch der Plastikeisberg soll mit der Barkasse zu den Kreuzfahrttouristen geschleppt werden, als ein Symbol des Klimawandels und der Natur außerhalb der Kreuzfahrtwelt. Und natürlich auch als böses Omen. Eisberge und Schifffahrt, war da nicht mal was?
Mit dem alternativen Cruiser über die Elbe
Und dann wollen die Geheimhalter ein riesiges Floß in der wieder in Betrieb genommenen Werft bauen und zu Wasser lassen. Mit diesem alternativen Cruiser sollen die Besucher am letzten Tag über die Elbe durch die Innenstadt bis nach Kampnagel reisen. Das ist tatsächlich möglich. Schleusen verbinden die Elbe mit der Stadt.
Über die schicke Binnenalster wollen sie dann vorbeischippern an den weißen Villen an der Außenalster, in denen genau diejenigen residieren, „die seit Jahrhunderten vom abgesperrten Hafen profitieren“, einem Hafen, der vollkommen den Profitinteressen einiger weniger unterworfen sei. „So wie das Meer, das für uns schon mit dem Hafen beginnt.“
Wo genau die Reise hingehen soll, weiß das Kollektiv bei allem Aktionismus noch nicht zu sagen. Sollen Kreuzfahrten wieder ein teures Luxusgut für einige wenige, dafür anspruchsvolle, zahlungskräftige und nachhaltige Gäste werden? Ist es wirklich sinnvoll, dass ein Industriegelände wie der Hafen zur Spielwiese für jedermann wird? Und überhaupt, dienen nicht auch die „Profitinteressen“ der wenigen, letztlich auch der Gemeinschaft Stadt, die gerade in Hamburg schon seit Jahrhunderten sehr gut von ihrem Hafen lebt? Was wären die Alternativen?
Fragen, auf die während der kommenden Tage im alternativen Kreuzfahrtterminal erst noch Antworten gefunden werden müssen. Aber selbst wenn die Visionen des Geheimbundes im Detail noch unscharf bleiben, alleine die Eröffnungsshow an diesem abgelegenen Ort, auf den wir sonst niemals einen Fuß setzen würden, macht das Projekt erlebenswert.
Da liegt doch tatsächlich eine vergessene Welt direkt neben der Stadt, die sicherlich noch mehr Öffnung als nur dieses kleine, temporäre Projekt vertragen könnte. „Der Hafen, wir brauchen ihn“, heißt es, dann wird gemeinsam gesungen. „We are sailing“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader