Konservative in Aufruhr

IRAN Vor der Parlamentswahl im März tobt der Machtkampf zwischen Gemäßigten und Hardlinern. Es geht auch um die Rolle des Wächterrates

Für die Hardliner sind alle Demonstranten von 2009 Abweichler Foto: Yoan Valat/dpa

VON Bahman Nirumand

BERLIN taz | Im Iran läuft bereits der Wahlkampf auf vollen Touren, obwohl die Parlamentswahl erst im März nächsten Jahres stattfindet. Denn dabei geht es nicht allein um die Eroberung der 290 Parlamentssitze. Noch mehr geht es darum, ob es der gemäßigten Regierung von Präsident Hassan Rohani nach dem Atomabkommen, das sie als einen außenpolitischen Sieg für sich in Anspruch nimmt, gelingt, grundsätzliche Reformen im Innern durchzusetzen. Dafür braucht sie gemeinsam mit den Reformern die absolute Mehrheit im Parlament.

Dafür genügt nicht das Votum der Wähler, das sie, nach der jetzigen Stimmung im Land zu urteilen, mit großer Wahrscheinlichkeit erhalten würde. Weitaus schwieriger könnte die Beschränkung der Macht der Konservativen, insbesondere des Wächterrats und des Revolutionsführers, werden.

Der mächtige Wächterrat, der aus zwölf Mitgliedern besteht, hat die Aufgabe, jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz zu überprüfen, sodass ohne seine Zustimmung kein Gesetz in Kraft treten kann. Zudem kontrolliert der Wächterrat die Wahl des Präsidenten, des Parlaments und des Expertenrats. Schließlich hat sich der Wächterrat auch noch das Recht genommen, über die Zulassung von Bewerbern zu Wahlen zu entscheiden. So hat der Rat, der ausschließlich mit Erzkonservativen besetzt ist, bei allen vergangenen Wahlen unliebsame Bewerber als ungeeignet zurückgewiesen. Diese Vorwahl machte Wahlen im Iran zur Farce.

Nun hat der Wächterrat, der auch für die nächste Wahl auf seinem Recht der Kandidatenauswahl besteht, erklärt, „alle Abweichler“ würden ausgeschlossen. Mit „Abweichlern“ sind jene Politiker gemeint, die an den Protesten gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2009 teilgenommen oder sich von diesen nicht öffentlich distanziert haben. Das trifft auf einen Großteil der Reformer zu. Sollte der Rat seinen Willen durchsetzen, würde es der Regierung Rohani kaum gelingen, grundsätzliche Reformen durchzusetzen.

Dagegen setzte sich nun der Staatspräsident zur Wehr. Vor einer gemeinsamen Sitzung der Regierung mit Provinzgouverneuren sagte Rohani: „Der Wächterrat hat die Aufgabe, die Wahlen zu beobachten, nicht durchzuführen. Der Rat ist das Auge, das nicht das leisten kann, was die Hände leisten. Die beiden Aufgaben dürfen nicht miteinander vermischt werden. Das schreibt die Verfassung vor.“ Für die Durchführung der Wahl sei einzig das Innenministerium zuständig. „Wir müssen jenen Weg fortsetzen, den wir vor unserer Wahl angekündigt und dem die Wähler zugestimmt haben“, sagte Rohani und meinte damit die angekündigte Öffnung nach außen und innen.Die Worte des Präsidenten erzeugten unter den Konservativen einen Aufruhr. Der Chef der Revolutionsgarden, General Mohammad Ali Dschafari, sagte, „solche Äußerungen, die die Organe der Islamischen Republik schwächen, zerstören die nationale Einheit“. – „Jene, die glauben (…), mit solchen Ankündigungen den Weg für fremde Mächte in unser Land ebnen zu können, sollten sich merken, dass wir solche Strategien niemals zulassen werden.“ Dschafari warnte vor Leuten, die „den großen Satan“ (USA) zufrieden und die eigenen revolutionären Werte infrage stellen wollten.

Justizchef Sadegh Laridschani, der vom Revolutionsführer ernannt wird, warnte: „Unsere Feinde versuchen, nach dem Atomabkommen in unser Land einzudringen.“ Niemand dürfe ihnen aus dem Innern des Landes Willkommen signalisieren. Niemand dürfe den Eindruck erwecken, als sei nun der Weg für eine Systemänderung geebnet. „Einige, die 2009 an den Verschwörungen beteiligt waren und zum Teil verurteilt wurden, haben nun die Farbe gewechselt, sie gründen Parteien und wollen wieder zurück auf die politische Bühne.“

Präsident Rohani braucht dieabsolute Mehrheitim Parlament

Tatsächlich haben einige bekannte Reformer eine neue Partei gegründet. Die „Partei der Volkseinheit des islamischen Iran“ gilt als Nachfolgerin der Moscharekat-Partei, die nach den Protesten von 2009 verboten wurde. Sie war die größte Partei der Reformer.

Präsident Rohani, der sich nach dem Atomabkommen gestärkt fühlt, möchte mit gebührender Vorsicht auch die Macht von Revolutionsführer Ali Chamenei einschränken. Ajatollah Chomeini habe sich nie in Angelegenheiten der Regierung eingemischt, sagte Rohani kürzlich am Grab des Gründers der Islamischen Republik und fügte hinzu, der „ehrwürdige Revolutionsführer“ habe sich mit Ratschlägen begnügt.

Der Wahlkampf nimmt derart an Schärfe zu, dass der ehemalige Polizeipräsident, ­Esmail Moghaddam, sich genötigt sah, vor der Gefahr einer Polarisie­rung der Gesellschaft zu ­warnen. „Wenn es so weitergeht, müssen wir mit einer Neuauflage der Proteste von 2009 rechnen“, sagte er.