: MUSIK
MusikTim CasparBoehmehört auf den Sound der Stadt
Wir befinden uns Jahr 2015 n. Chr. Ganz Berlin ist atonal. Ganz Berlin? Nein, ein paar von unbeugsamen Berlinern bevölkerte Konzertsäle hören nicht auf, mit tonaler Musik Widerstand zu leisten. Oder so ähnlich. Tatsächlich nimmt das Festival Berlin Atonal dieser Tageeinigen Raum ein – ein ganzes Kraftwerk, in das ein paar tausend Lärmwillige passen –, und auch in dieser Zeitung wird ihm einiges an Platz geboten. An dieser Stelle soll daher nicht weiter davon die Rede sein. Sondern von den Dingen, die es sonst noch zu hören gibt. Am Sonntag etwa tritt die Berliner Sängerin und Komponistin Cymin Samawatie mit ihrem Quartett Cyminology in der Reihe „Jazz in the Garden“ im Jüdischen Museum auf. Ihr Kammerjazz arbeitet mit persischer Lyrik, Ansätzen von Neuer Musik, ist aber tonal im Charakter und verzichtet auf die im Jazz gern üblichen Ego-Shows, zu denen sich Instrumentalsoli schon mal auswachsen können. Improvisiert wird gleichwohl auch (Lindenstr. 19, 11 Uhr, Eintritt frei).
Noch mehr und noch freier improvisiert wird am selben Tag dann nachmittags in der Novilla, wo das Trio des norwegischen, in Berlin lebenden Pianisten Håvard Wiik aufspielt. Håvard Wiik hat weder Scheu vor impressionistisch-spartanischen Tönen noch vor lauteren und wilderen Free-Jazz-Momenten. In seiner Musik lässt er sich mitunter vom Philosophen Walter Benjamin beeinflussen – ein Album hieß nach dessen „Passagenwerk“ gar „The Arcade Project“ –, was ja nicht die schlechteste Inspirationsquelle ist (Hasselwerderstr. 22, 16 Uhr).
Eine ganz andere Inspiration hat der Sänger Shamir in den Songs zu seinem Album „Ratchet“ verarbeitet. Da ist seine Heimatstadt Las Vegas, der er im Song „Vegas“ ein düsteres Denkmal setzt – „The city’s bright / at least at night“, oder seine Transgender-Identität, mit der er sich auseinandersetzt, seit seine Stimme im Stimmbruch nicht ins männliche Register gesackt ist, sondern feminin hoch blieb: „Just that you know / I’m a guy“ singt er in „On the Regular“. Shamirs Pop-Entwurf ist bestimmt von roher Disco-Euphorie, die sich mit HipHop und R&B genauso wohl fühlt wie mit House. Hauptsache, die Leute tanzen. Am Montag dann im Privatclub (Skalitzer Str. 85–86, 21 Uhr, VVK: 16 €).
Und weil schon wieder die nächsten Festivals ins Haus stehen, sei auf die Mittwoch anlaufende erste Ausgabe von Pop-Kultur (nur echt mit Bindestrich) verwiesen. Und auf Mikromusik. Da geht es um Kleinteiliges, Musik, die in ihre Bestandteile zerlegt wird, um daraus neue Musik zu machen. Mit dabei: die Improvisationshelden AMM in Gestalt des Pianisten John Tilbury und des Schlagzeugers Eddie Prevost (mehrere Orte, 26.–30. 8., Programm: www.echtzeitmusik.de).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen