Affäre Der General-bundesanwalt hat die Ermittlungen gegen zwei Journalisten des Blogs Netzpolitik.org vorerst unterbrochen. Der Vorwurf aber bleibt bestehen: „Landesverrat“. Die Solidarität ist enorm
: Mundtot machen

Auszug aus einem der Netzpolitik-Artikel

Von Daniel Bouhs
, Anne Fromm
, Anja Maier
und Christian Rath

Lange hatte er geschwiegen, dabei ist Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine wichtige Figur in der Causa Netzpolitik.org. Gestern Nachmittag, um 15.30 Uhr, trat er dann doch vor die Presse. Die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten sollen zunächst ruhen. Er habe, erklärte Maas in seiner nicht einmal zweiminütigen Erklärung, „dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, dass ich Zweifel daran habe, ob die Journalisten mit ihrer Veröffentlichung die Absicht verfolgt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen“.

Weiterhin habe er Harald Range gegenüber seine Zweifel zum Ausdruck gebracht, „ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt“. Sein Ministerium werde dem Generalbundesanwalt „zeitnah eine eigene Einschätzung übermitteln“. Das klang nach erheblichem Dissens. Und nun pfiff Maas Range zurück.

Am Donnerstag war bekannt geworden, dass Generalbundesanwalt Harald Range gegen die Blogger Markus Beckedahl und Andre Meister von Netzpolitik.org wegen Landerverrats ermittelt – ein ungeheurer Vorwurf.

Ein Verbrechen?

Die Bundesanwaltschaft sieht einen Anfangsverdacht, dass die Veröffentlichungen der Blogger ein Verbrechen sein könnten. Der Generalbundesanwalt hält es für möglich, dass die Veröffentlichung von Dokumenten über die Internetkontrolle des Verfassungsschutzes gezielt die Bundesrepublik schädigen sollte.

Im Februar berichtete Netzpolitik, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) plant, „massenhaft Internet-Inhalte zu erheben und auszuwerten, darunter Kontaktlisten und Beziehungsgeflechte bei Facebook.“ 2,75 Millionen Euro sollen dafür im geheimen BfV-Haushalt vorgesehen sein. Im April legte Netzpolitik nach und berichtete, dass 75 BfV-Mitarbeiter zur „Massendatenauswertung von Internetinhalten“ eingeplant seien. Dazu wurde das geheime Konzept der „Erweiterten Fachunterstützung Internet“ veröffentlicht.

BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen ärgerte sich sehr über die Indiskretionen und erstattete beim Landeskriminalamt Berlin Strafanzeigen. Öffentlich ging man davon aus, dass nicht gegen die Journalisten ermittelt werde, sondern nur gegen ihre (unbekannten) Quellen in den Behörden.

Das LKA Berlin gab die Strafanzeigen an Generalbundesanwalt Range ab, weil es um Staatsgeheimnisse gehe. Range sah zumindest einen Anfangsverdacht.

Nun soll ein externer Gutachter zügig prüfen, ob die Netzpolitik-Veröffentlichungen tatsächlich Staatsgeheimnisse sind. Bis die Prüfung abgeschlossen ist, will die Bundesanwaltschaft keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen durchführen, also keine Telefone abhören, keine Redaktionsräume durchsuchen. Auch Verhaftungen, etwa wegen Fluchtgefahr, sind nicht geplant.

Paragraf 94 StGB: Nach dem Strafgesetzbuch macht sich strafbar, wer einer fremden Macht ein Staatsgeheimnis verrät. Oder – und das wird Netzpolitik.org vorgeworfen – wer ein Staatsgeheimnis „an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht“, um das Land zu benachteiligen, und dadurch „die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit“ des Landes herbeiführt.

Freiheitsstrafe: Das Strafmaß liegt nicht unter einem Jahr. In schweren Fällen sogar zwischen fünf Jahren und „lebenslänglich“.

Staatsgeheimnisse: sind Informationen, die „nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen“.

Externer Gutachter

Auf Landesverrat steht eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bis hin zu „lebenslänglich“ (siehe Kasten). Die Ermittlungen gegen Beckedahl und Meister gehen davon aus, dass die beiden Staatsgeheimnisse an Unbefugte verraten oder „sonst öffentlich bekannt gemacht“ haben.

Es ist aber nicht nur fraglich, ob Netzpolitik „Staatsgeheimnisse“ veröffentlicht hat. Für eine Bestrafung wegen Landesverrats müssten noch zwei weitere Voraussetzungen gegeben sein: Die „Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ muss bestehen, und die vermeintlichen Täter müssen in der Absicht gehandelt haben, „die Bundesrepu­blik zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen.“ Beides anzunehmen ist im Falle von Netzpolitik abwegig. Warum sie dennoch einen Anfangsverdacht hatte, wollte die Bundesanwaltschaft nicht erklären.

Der Vorfall erinnert an die Spiegel-Affäre. Am 26. Oktober 1962 marschierte die Staatsmacht in das Hamburger Verlagsgebäude und die Bonner Redaktionsräume ein. Unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ hatte das Magazin Schwächen des Nato-Verteidigungskonzeptes offengelegt.

Bislang ist der Fall von Netzpolitik nicht mit der Spiegel-Affäre vergleichbar; keine Verhaftung, keine Durchsuchung. Und: Noch treibt es die Republik nicht auf die Straße, auch wenn Netzaktivisten zu Solidaritätsbekundungen aufgerufen haben.

Netzpolitik ist so etwas wie das Leitmedium der Szene. Als Beckedahl die Seite vor mittlerweile gut zehn Jahren startete, war sie noch eine private Spielwiese für Kommentare zu Netzthemen. Inzwischen begleitet eine Redaktion die Digitalisierung und deren Folgen für die Gesellschaft. Seit ein paar Jahren schieben immer öfter Informanten Netzpolitik Vertrauliches zu, mithin eben auch streng Geheimes. Exklusives.

Entsprechend groß war die Empörung, die der Nachricht von der Ermittlung folgte. Politiker und Journalisten äußerten sich besorgt. Karsten Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der taz: Die ­Pressefreiheit sei ein „hohes Gut“. Es sei die Pflicht von Journalisten, zu berichten – „auch wenn es unbequem ist“. Sein Kollege von den Grünen, Konstantin von Notz, nannte die Ermittlungen „maximal bizarr“. Michael Konken, Bundesvorsitzender des Deutschen Jour­nalisten-Verbands, nannte die Ermittlungen einen „unzulässigen Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen“.

Anders äußerte sich der CDU-Politiker Jens Koeppen, Vorsitzender des ­Ausschusses „Digitale Agenda“ im Bundestag. Auf Twitter schrieb er: „Wenn etwas als „Verschlusssache – vertraulich“ eingestuft wird, dann gilt das auch für Journalisten und die, die es gerne sein wollen …“ Mit seiner Äußerung zog er heftige Kritik auch aus den eigenen Reihen auf sich.

Foto: Andreas Pein

Rückenwind bekamen Beckedahl und Co. auch im Netz. Dort wurde kurzzeitig sogar die Kontonummer von Netzpolitik zu einem der meistbenutzten Hashtags. Damit riefen Tausende Twitter-Nutzer dazu auf, für Netzpolitik zu spenden. Eine Internetpetition, die Bundesjustizminister Maas dazu aufruft, die Ermittlungen einzustellen, unterzeichneten bisher mehr als 20.000 Menschen.

Die Wut vieler Internetnutzer entzündet sich vor allem daran, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wegen der massenhaften Ausspähung durch NSA und anderer Geheimdienste eingestellt hat – wohl aber auf Journalisten losgeht. Medien sollen eingeschüchtert und zukünftige Whistleblower abgeschreckt wer­den, so der Tenor.

„Wir freuen uns sehr über die Unterstützung“, sagte Markus Beckedahl der taz. „Wir klären das gerade mit diversen Juristen und haben viele Pro-Bono-Angebote erhalten. Aber letztendlich müssen wir schauen, wer richtig Ahnung von der Materie hat, wo wir drinstecken. Pressefreiheit und Landesverrat sind ja eher ungewöhnlich.“

Natürlich schwebte eine Anklage wegen Landesverrat ständig als abstrakte Gefahr über Rechercheuren in diesem Milieu. Seit der Spiegel-Affäre konnten sich aber alle sicher fühlen, nach dem Motto: Das traut sich niemand mehr. Jetzt kam es anders. Und die Bundesregierung hat zunächst alles einfach geschehen lassen. Egal wie die Sache nun ausgeht, eines steht schon jetzt fest: Journalisten leben auch hierzulande wieder in einer Zeit, in der die Mächtigen ihre Apparate einsetzen, um kritische Recherchen zu sanktionieren.