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„Grundsätzlich staatlich“

VEREINTE NATIONEN Am „Welttag der humanitären Hilfe“ ist klar: Not herrscht nicht nur im Süden

Privat
Christopher Duis

35, ist Geschäftsführer des Bremer entwicklungspolitischen Netzwerkes. Sein Schwerpunktthema sind die UN-Millenniumziele.

taz: Herr Duis, die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer, Kriege im Nahen Osten – kann man heute überhaupt genug „humanitäre Hilfe“ leisten?

Christopher Duis: Es ist klar: Internationale humanitäre Hilfe ist geboten – und das auch wieder in Europa: In Mazedonien, Griechenland und Italien. Dort kommen die staatlichen Strukturen nicht eins zu eins mit.

Lässt sich „humanitäre Hilfe“ auf Augenhöhe organisieren?

Es droht immer eine paternalistische Abhängigkeit. Ein Agieren auf Augenhöhe ist wünschenswert. Allerdings muss man die humanitäre Hilfe von der Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden: Bei der humanitären Hilfe geht es um Nothilfe, darum, Menschen Wasser und Essen zu besorgen und eine Grundversorgung sicherzustellen. Wichtig wäre, die Ressourcen der armen Länder bei der Vorbeugung von Katastrophen anzugleichen.

Wie meinen Sie das?

Reiche Länder werden von Naturkatastrophen weniger hart getroffen, weil sie die Ressourcen haben, sich darauf vorzubereiten. Wenn in Japan sich bei einem Erdbeben die Erde nur eine bisschen bewegt, stehen alle Züge still. In Nepal nicht. In der Schweiz werden die Gletscherseen streng überwacht, dass es zu keinen Überflutungen kommt. In Nepal nicht. Arme Länder sollten die Ressourcen haben, sich selbst besser darauf vorzubereiten, so dass sich Nothilfe irgendwann überflüssig macht.

Muss diese Nothilfe immer „neutral“ bleiben?

Ja, unbedingt. Man kann sich an anderer Stelle politisch positionieren. Die Nothilfe aber muss von allen Seiten respektiert werden, hier muss die Neutralität gewahrt bleiben. In Afghanistan gibt es die Problematik: Da hat sich die Bundeswehr stark eingebracht, um die Helfer zu schützen und auch selbst Hilfe zu leisten. Die Helfer haben dann gesagt, dass sie dadurch in Gefahr geraten, wenn sie als verlängerter Arm der Bundeswehr wahrgenommen werden.

Also gibt es auch humanitäres Hilfs-Engagement, das problematisch sein kann?

Problematisch ist es da, wo sich Sachen einspielen. Es gibt Lager, etwa in der Sahara, wo bis zu 150.000 vertriebene Menschen seit Jahren in Algerien leben. Oder die palästinensischen Flüchtlingslager in den so genannten „arabischen Bruderstaaten“, wo Palästinenser seit Jahren keine Perspektive haben: Da ist es keine humanitäre Nothilfe mehr, sondern hier handelt es sich um einen Konflikt, der politische gelöst werden muss.

In Bremen gibt es Beispiele dafür, dass etwa bei Flüchtlingen humanitäre Hilfe geleistet wird – unter anderem mit Zahnbürsten oder Shampoo, also Dingen der Grundversorgung, die eigentlich in der Verantwortung der Behörde lägen. Was halten Sie davon?

Grundsätzlich sollte die Finanzierung von Nothilfe staatlich geschehen. Für Deutschland und Bremen sollten die Grundbedürfnisse vom Staat abgedeckt werden.

Interview: jpb

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