piwik no script img

RITT NACH AACHENDie deutsche Dressur-Equipe holt bei der Reit-EM nur Bronze – und schimpft über das Wertungsgericht. Versagt hat der angebliche WunderhengstAusgerechnet Totilas!

Totilas mit Reiter Matthias Rath beim umstrittenen Auftritt Foto: dpa

Aus Aachen Bernd Müllender

Die deutschen Reitersleut haben eine formvollendete Dressurkür hingelegt. Wertungskategorie Hängende Mundwinkel – fast mit Merkel’scher Perfektion. Schuldzuweisungen – eine muntere Kür querbeet. Versteinerte Gesichter – bühnenreif. Gesten der Ratlosigkeit – in Vollendung. Nur schäbige Blechbronze in der Mannschaftswertung der Dressur hatte es bei der Reit-EM gegeben – weit unter der Würde der edlen deutschen Reiterei; die Niederlande gewannen vor Großbritannien. Vor allem der vorgebliche Wunderhengst Totilas hatte eine müde, fehlergespickte Runde hingelegt.

Dressurreiten ist eine fürwahr sonderbare Welt. 71 Rösser samt ihrer stocksteifen ReiterInnen mit Zylinder auf dem Kopf zeigen das immergleiche Pflichtprogramm von je sechs Minuten. Und Tausende gehen hin, das Fernsehen ist live dabei, wenn diese Kaskade von gewaltsam antrainierten Kunststückchen dargeboten werden. Da wird, so die Fachsprache, aus der Schulter herausgetanzt, eine Trabverstärkung vollführt, das flotte Fußen und die aktive Hinderhand gelobt.

Von Totilas, 15 Lenze alt, für viele nicht weniger als Furys leibhaftiger Wiedergänger, hat­te die Fachwelt eine engelsgleich schwebende Performance voller Anmut und gezügelter Wucht erwartet. Dann verpatzte er unter Matthias Rath mehrere Einerwechsel, zeigte seine Piaffen nicht in kraftvoller Vollendung wie sonst, die Tritte im Trab gerieten zwischenzeitlich ungleichmäßig, die Traversalen waren ohne letzten Esprit, ein Galoppteil misslang, das Tier wirkte unruhig.

Woran lag es? Lahmheit am linken Hinterbein, die manch einer schon beim Einreiten entdeckt zu haben glaubte? Mangelnder Fitnesszustand? Haben die Veterinäre vorab nicht aufgepasst? Es gab kritische Stimmen: War der Druck der Vermarkter auf einen Start zu groß und somit ein krankes Tier ins Viereck gehetzt worden? Fast wäre der schwarze Riese, dessen Trainern und Reiter ohnehin besonders grenzlegale Trainingsmethoden nachgesagt werden, noch zum Streichergebnis in der Mannschaftswertung geworden.

Die Groteske am Rande: Bei keinem Pferd gingen die Wertungsnoten auch nur annähernd so weit auseinander wie bei diesem Totilas: Sie spreizten sich um achteinhalb Punkte von 71,6 bis 80,1 Prozent. Ausgerechnet die deutsche Jurorin hatte genau hingeguckt und sich nicht von Raths demonstrativen Jubelgesten am Schluss blenden lassen – sie wertete Totilas weit nach unten.

Totilas kommt jetzt erst mal in die Klinik. Tierschützer freuen sich für ihn

Was als eine Art Vaterlandsverrat angesehen wurde in der beleidigten deutschen Equipe, denen Totilas’ verpasste Punkte zur Titelverteidigung fehlten. Nur Reiterin Isabell Werth schaffte später gute Noten in der Disziplin Galgenhumor: „Es war unser Ziel, Dritter zu werden, da es ganz schön langweilig ist, immer zu gewinnen.“ Viele der wenigen Besucher aber – das riesige Stadion war dünn gefüllt – pfiffen lautstark.

Ein Kommentator sprach von einem „unbegreiflichen Kapitel im Buch der sieben Siegel“. Rath, 31, meinte bockig: „Zig Leute sagten, dass es gut war, und da sind keine Amateure um mich herum.“ Zunächst wollte er im Einzelwettbewerb antreten, befragte dann jedoch den Tierarzt. Ergebnis: Totilas wird „aus gesundheitlichen Gründen“ nicht mehr in Aachen starten. „Wir haben zum Wohle des Pferdes entschieden“, so Equipechef Klaus Roeser. Von Totilas sind keine Worte überliefert. Er kommt jetzt erst mal in die Klinik. Tierschützer freuen sich für ihn, dass der Leistungssportmissbrauch zumindest Pause hat. Ob der verletzungsanfällige Exstar, für Eigentümer Paul Schockemöhle die teuerste Fehlinvestition seines Geschäftswirkens, überhaupt noch mal ins Sandviereck muss oder kann, steht in den Sternen.

Totilas’ Kollegen und Kolleginnen dürfen heute und morgen in der Einzelentscheidung weitertänzeln, wenn sie an scharfen Gebissen gezogen werden, ihr Kopf artfremd herunter- und schiefgezogen, die Augen manchmal angstvoll aufgerissen. Und das so fachkundige Aachener Publikum wird beim Jubel vergessen, dass Piaf­fen, Passagen und Traversalen vom natürlichen Bewegungsverhalten eines Rosses so weit entfernt sind wie Furys Broken Wheel Ranch von der Aachener Soers.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen