der rote faden : Der kurze Sommerdes Sozialismus
Durch die Woche mit
Robert Misik
Seit Jugendtagen schon trage ich den schönen Titel des schönen Buches von Hans Magnus Enzensberger im Kopf: „Der kurze Sommer der Anarchie“, ein essayistisches Porträt von Buenaventura Durruti, dem Anarchistenführers im spanischen Bürgerkrieg. Das Wort „Sommer“ evoziert etwas Strahlendes, Glanz, die Hoffnung; der „kurze Sommer“ beinhaltet aber schon das Ende dieser Hoffnung. Der Herbst und der Winter gehört den anderen.
So erleben wir gerade einen eigentümlichen „Sommer des Sozialismus“, der den meisten hierzulande gar nicht auffällt, weil wir im dauerhaften Merkel-Herbst leben, egal wie die Temperaturen draußen sind. Aber anderswo, da tun sich wirklich erstaunliche Sachen.
In Großbritannien etwa hat sich der Linke Jeremy Corbyn um den Vorsitz der Labour-Party beworben. Seine Kampagne hat schnell ein Momentum gewonnen, das nicht einmal er sich zu träumen erhofft hat. Zigtausende sind in die Labour-Party eingetreten, um bei den Vorwahlen für Corbyn stimmen zu können, junge Leute, die beispielsweise meinen: „Man sagt, er sei ein altmodischer Sozialist. Aber für meine Generation klingen seine Ideen verdammt neu.“
Mittlerweile führen die Buchmacher Corbyn als hohen Favoriten, der mit 53 Prozent in Führung liegt, während die Konkurrenz bei 20 Prozent rumdümpelt. Und man sollte nicht vergessen, dass die linkssozialistische Schottische Nationalpartei sowohl Labour als auch die Torys bei den Parlamentswahlen in Schottland quasi ausgeschaltet hat. Und das hat überhaupt nichts mit Nationalismus zu tun. Der Erfolg begründet sich einzig damit, dass die SNP-Leute das Image haben, noch echte, ehrliche Sozialisten zu sein.
Ortswechsel: USA. Da mischt Bernie Sanders den US-Wahlkampf auf; Senator und der einzige relevante Politiker Amerikas, der sich selbst einen „Sozialisten“ nennt. Sanders ist ein Sozialist von der Art Kreisky-Palme-Willy-Brandt, was für die USA natürlich verdammt linksradikal ist. Und er füllt Stadien!
Natürlich, Hillary Clinton wird er die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten nicht streitig machen können. Aber allein, dass er ihr in den Umfragen verdammt nahe gekommen ist, ist mehr, als jemals für möglich gehalten wurde. Und: Laut aktuellen Umfragen würde Sanders jeden Kandidaten der Republikaner schlagen, also sowohl Donald Trump als auch Jeb Bush. Jeden!
Erstaunlich ist all das allemal. Und es fügt sich auch ein in den Aufstieg von Podemos und die Popularität, die Alexis Tsipras in Europa genießt – beziehungsweise den geballten Hass, den die herrschenden Eliten gegenüber Syriza hegen.
Summiert sich das schon zu einem „kleinen Sommer des Sozialismus“? Nun, man sollte das natürlich nicht überbewerten. Weder die Briten und schon gar nicht die Amerikaner sind jetzt zu Sozialisten geworden. Vielleicht ist es simpler: Leute wie Corbyn und Sanders strahlen aus, dass sie ehrliche, einfache Leute sind, die das Herz am rechten Fleck haben und sich nicht den neoliberalen Eliten unterwerfen werden wie diese Bettvorleger der herrschenden Klassen à la Tony Blair.
Gleichzeitig hat die wählende Bevölkerung vor allem die schmierigen, korrumpierten Typen der Elitenpolitik satt, diese Typen, die am liebsten eine Demokratie ohne Bürger hätten. Jemand, der mit den Leuten in einer normalen Sprache kommuniziert und sie nicht wie doofe Vorschulkinder behandelt, kann heute das Momentum gewinnen, während angepasste blutleere Apparatschiksozialdemokraten sehr oft überhaupt keine Chance mehr haben.
Aber auch das darf man nicht generalisieren: Matteo Renzi, der Italiener, ist ja eher ein Typ wie Blair, ein Pragmatiker der Mitte, und kann trotzdem mit jugendlichem Elan und Reformer-Entschlossenheit punkten. Aber in aller Regel kommen in den Apparaten kaum mehr Leute hoch, die irgendjemanden begeistern. Schafft es aber jemand, der an sich schon anders ist, und aus dem Seitenaus ins politische Spielfeld springt, dann hält ein elektrisiertes Elektorat vor Freude schier die Luft an: Endlich einer, der anders ist! Endlich ein „regular guy“, statt dieser glatten Windkanaltypen mit Fönfrisur und grauen Anzügen oder diese Klonpolitikerinnen mit ihren Sprechblasen und Kostümchen!
Der Sozialismus ist somit auch eine Stilfrage.
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