Ein heißer Hauch von Gentrifizierung wehte durch die Gasse: Hilfe, sie kommen
Zumutungen
von Anja Maier
Am Nachmittag lagerten sie dann am Fluss. Es war der Sonntag nach der Party. Der kleine, flache Strand lag etwas außerhalb. Sie hatten ein Partywochenende hinter sich, einen Ausflug in die tiefe ostdeutsche Provinz. Nun lagen sie auf Strandlaken, die sie sich vom letzten Asienurlaub mitgebracht hatten, sie checkten ihre Mails und ihre Möglichkeiten.
Sie waren Berliner, Hamburger, Leipziger. Um die vierzig, kreativ in jenem Sinne, den das 21. Jahrhundert bereithält. Nicht reich. Aber doch so ausgestattet, dass sie sich die Grundstückspreise in diesem verlassenen Landstrich, in diesem Dornröschen-Dorf leisten könnten.
Am Vormittag waren sie durch die mittelalterlichen Gässchen gezogen. Dieses Fachwerkjuwel hier sei zu verkaufen, sagten die, die schon eines der Häuschen erworben hatten. Da drüben, die Kate mit dem alten Taubenhaus im Hof, sei noch zu haben. Hier, dieses Haus am verschwiegenen Ende der Gasse, sei für 700 Euro weggegangen.
Das Paar, je ein Kind an der Hand, schaute einander fragend an. Die App-Designerin streichelte einen Backstein-Vorsprung. Der arbeitslose Landschaftsarchitekt zerrieb schwarze Gartenerde zwischen den Fingern. Es herrschte Goldgräberstimmung. Ein heißer Hauch von Gentrifizierung wehte durch die Gasse.
Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall kommen die Kinder von einst in die Provinz. Dort, von wo ihre Altersgenossen abgehauen sind, finden sie heute potemkinsche Dörfer vor. Leere Schulen und Pfarrhäuser und Vierseithöfe. Sie suchen hier nach jenem Ort, für den sie an den Wochenenden ihre Stadt verlassen könnten.
Den Ort, an dem ihre Kinder schwimmen lernen. Wo sie abends Lagerfeuer entzünden und im Spätsommer riesige Zucchini vom Kompost ernten. Eigentlich also einen Ort, an dem sie ihre Zeit mit denselben Leuten verbringen können, mit denen sie schon zu Hause, in der Stadt zusammenleben.
An diesem Sonntag, da sie wie eine hungrige Herde freundlicher Besatzer durch das Städtchen ziehen, treffen sie ab und zu noch auf Einheimische. Die sitzen in Jogginghosen und Kittelschürzen vor ihren Häusern. Deren Fassade ist mit Styropor gedämmt, die alten Kastenfenster durch praktischen Kunststoff ersetzt. Die Neuen grüßen die Provinzler mehr als freundlich – jeder von denen könnte ein angenagtes Fachwerkhäuschen in der Hinterhand haben. Die Dörfler grüßen knapp zurück.
Sie haben hier schon viele Junge durchstreunen sehen. Manche haben Omas Laube gekauft, ja. Aber dann war der erste strenge Winter gekommen. Wochenlang keine Sonne, nur grauer Himmel und Schnee. Das Wirtshaus machte dicht, der Bäcker flog zum Überwintern in den Süden. Die neuen Mitbürger blieben aus. Und sie kamen auch nicht wieder, als es wieder warm wurde. Im dritten Winter war Omas Laube schließlich in sich zusammengesunken. Auf der Brache machen die Dörfler jetzt Heu für die Kaninchen – die städtischen Besitzer wissen nichts davon. Manche von denen arbeiten mittlerweile im Ausland, andere haben sich getrennt. Aber der Traum von der Provinz – er war angenehm und preiswert.
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