Gesundheitswesen

Korrupte Ärzte müssen künftig mit Strafen rechnen. Geldzahlungen sind aber nur verboten, wenn ein Produkt dadurch bevorzugt wird

Wo das Gesetz nicht greift

Graubereich Ärzte werden sich auch künftig korrumpieren lassen, befürchten NGOs. Sie werden nur weniger dreist sein

BERLIN taz | Da war der niedergelassene Onkologe aus Norddeutschland, der seine krebskranken Patienten stets zu einer bestimmten Apotheke schickte. Die Rezepte für ihre Medikamente sollten sie am besten dort einlösen, empfahl der Arzt. Im Gegenzug, das fanden vor gut fünf Jahren Antikorruptionsermittler der Krankenkassen AOK, Techniker und KKH heraus, finanzierte der Apotheker dem Mediziner einen Sportwagen.

Derlei Dreistigkeit, pardon: Bestechlichkeit und Bestechung, geeignet, das Vertrauen von Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen nachhaltig zu erschüttern, den Wettbewerb zu beeinträchtigen oder medizinische Leistungen gar zu verteuern, wird künftig in Deutschland strafbar sein. Endlich, lobte am Mittwoch sogar die Opposition: Der vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf sei „überfällig“, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink. „Jegliche Zuwendungen von Herstellern von Arzneimitteln, Diagnostika, medizinischen Geräten, Medizinprodukten, Apothekensoftware sowie Hilfsmittelerbringern an Ärzte müssen veröffentlicht werden“, verlangte sie.

Keine Abschreckung

Aber wird das allein ausreichen, korruptes Verhalten in Zukunft tatsächlich zu unterbinden? Die Ärzteinitiative „Mein Essen zahl ich selbst“ (Mezis), die ein Verbot ärztlicher Beeinflussung fordert, ist skeptisch. „Die Ebene unterhalb der schweren Korruption, auf der es um schleichende Einflussnahme auf ärztliches Verordnungsverhalten geht, wird mit dem Gesetz nicht erreicht“, prognostiziert der Mezis-Vorstand Eckhard Schreiber-Weber, selbst Facharzt für Allgemeinmedizin.

Das Problem sei der Graubereich: „Da geht es um implizite Übereinkünfte ohne direkte Gegenleistung, die sich jedoch in der Zukunft günstig für den Spender auswirken könnten“, sagt der Arzt. Pharmagesponserte Kongressreisen für Mediziner etwa – abhängig von deren Verordnungsvolumen – würden selbstverständlich auch in Zukunft stattfinden, ist sich Schreiber-Weber sicher: „Es gibt dann eben bloß keine explizite Vereinbarung mehr darüber.“

Auch gegen andere potenziell korrupte Beziehungen zwischen Ärzten und Industrie biete das Gesetz weder Handhabe noch Abschreckung, kritisiert Mezis. So würden langfristige Beraterverträge, Referententätigkeiten, Veranstaltungs-Sponsoring oder Auftragsvergabe für klinische Studien von Medikamenten künftig vermutlich einfach als wissenschaftliche Dienstleistungen getarnt werden.

Eine Studie von Strafrechtlern der Universität Halle hatte 2013 ergeben, dass etwa zwei Drittel der deutschen Pharmamanager in diesen Aktivitäten ein mittleres bis hohes Korruptionsrisiko sehen. Auch eine Untersuchung der Nichtregierungsorgani­sation Transparency International kam 2010 zu dem Schluss, dass als Forschung deklarierte Anwendungsbeobachtungen tatsächlich bloß ein „korrup­tionsanfälliges Marketinginstrument“ seien.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, befürchtet dagegen, dass das Gesetz vor allem eine hohe „Verunsicherung“ unter den Ärzten auslösen könnte. Weil unklar sei, wann Korruption beginne, gerieten nun auch für die Patientenversorgung sinnvolle Kooperationen zwischen Ärzten, Klinikern und Apothekern unter „Generalverdacht“ und drohten künftig auf der Strecke zu bleiben.

Insgesamt 300 Milliarden Euro werden jedes Jahr im deutschen Gesundheitswesen ausgegeben, 172 Milliarden allein von der gesetzlichen Krankenver­sicherung. Die Regierung schätzt auf Grundlage eines Berichts vom European Healthcare Fraud & Corruption Network, dass sich die Schäden durch Betrug und Korruption etwa auf etwa 9,6 Milliarden Euro pro Jahr zu Lasten der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten belaufen.

Heike Haarhoff