: Designprojekt Gemeinschaftsgarten
Social Gardening Studierende der Kunsthochschule Weißensee richten auf einer Brache einen Garten ein – mit und für Flüchtlinge. Den Bermuda-Garten darf man schon auch als Erweiterung des Designbegriffs sehen: als gesellschaftlich relevante Gestaltung
von Philipp Idel
Irgendwann hatte sie keine Lust mehr auf herkömmliches Design: Man müsste doch auch etwas anderes gestalten können als Produkte.
Das dachte sich Hannah Fiand, 24, Studentin an der Kunsthochschule Weißensee. Das dachten sich auch ein paar ihrer Kommilitonen. Sie wollten etwas designen, womit die Leute außerhalb der Uni, also „draußen“, in der Realität, etwas anfangen könnten – und das diese Leute selbst aktiv mitgestalten würden.
Fiand, groß, schlank, rothaarig, würde es einen „Raum für zwischenmenschliche Kommunikation“ nennen. Ihr Kommilitone Florian Huss, 36, Pferdeschwanz und Ziegenbart, spricht lieber von einer „Schnittstelle“.
Es ist ein Garten geworden, der „Bermuda-Garten“: Ein paar Hochbeete und ein roter Bauwagen an der Johannes-Itten-Straße auf einer Brache in Weißensee. Ein Gemüsegarten: „Bohnen, Tomaten und Salat. Rucola, Radieschen und Kapuzinerkresse“, zählt Fiand auf.
Es ist ein lauer Sommerabend. Um eines der Hochbeete herum sitzen vier Leute. Zwei Männer, zwei Frauen. Sie rauchen, trinken, unterhalten sich. Sie sehen nicht so aus, als würden sie an diesem Abend noch zu Hacke oder Schaufel greifen. Sie sprechen in einer fremden Sprache. Einer der Männer sagt in gebrochenem Deutsch: „Chef, wo bleibt das Bier?“
Die Leute sind Flüchtlinge. Sie leben in einer Unterkunft, die das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) Ende vergangenen Jahres in einem leer stehenden Bürogebäude eingerichtet hat. Es gehört zu einem Ort, den die Studenten das „Bermudadreieck“ nennen. Daher der Name des Gartens.
Mit dem Bermudadreieck ist der DGZ-Ring gemeint. DGZ steht für Dienstleistungs- und Gewerbezentrum. Eine Bürostadt, so groß wie elf Fußballfelder. Mitte der neunziger Jahre sollten hier Tausende Dienstleistungsjobs entstehen. Heute sind die meisten Büroflächen ungenutzt. Das Gelände steht unter Insolvenzverwaltung.
Seit es den Garten gibt, schallt abends manchmal Musik durch die Geisterstadt. Denn im Bermuda-Garten gibt es nicht nur Hochbeete, sondern auch eine Jam-Bühne. Mittwochs finden dort Veranstaltungen statt.
„Wir haben hier auch schon einmal einen Film von Charlie Chaplin gezeigt“, sagt Fiand. Denn der habe ja Stummfilme gemacht. „Da gibt es keine Sprachbarriere.“
Ein Garten für alle
Sprach- und andere Barrieren soll es im Bermuda-Garten nicht geben. Er soll ein Garten für alle sein: Für die wenigen verbliebenen Büroangestellten, für Anwohner, Studenten. Und für die 355 Flüchtlinge, die für einige Monate, in manchen Fällen aber auch mehrere Jahre am DGZ-Ring bleiben sollen.
Für die beiden Designstudenten Fiand und Huss ist der Bermuda-Garten nicht das erste gesellschaftspolitische Designprojekt. Beide waren bereits an der Gründung von „Kommen und Bleiben“ beteiligt. Aus der Initiative der Kunsthochschule Weißensee sind mehrere Projekte hervorgegangen, in denen Studierende und Flüchtlinge zusammenarbeiten.
Huss zum Beispiel gestaltete gemeinsam mit Flüchtlingen, Sozialarbeitern und Aktivisten die „App Guide for NewBerliner“, einen interaktiven Bleibeführer. Die Software hilft Flüchtlingen, sich im Hauptstadtalltag zurechtzufinden.
Ohne die Flüchtlingsproteste der letzten Jahre wären solche Designprojekte vermutlich nicht entstanden. Fiand sagt: „Der Oranienplatz war schon ein Impuls für uns, Design gesellschaftlich relevant zu gestalten.“
Der Bermuda-Garten bedeutet viel Arbeit für die beiden Studenten und ihre Mitstreiter, vor allem organisatorischer Art. Da ist zum Beispiel die Heimleitung, mit der regelmäßig Gespräche geführt werden müssen. Sie ist kooperativ, unterstützt das Projekt, das aus einem Semesterprojekt hervorgegangen ist. „Studenten müssen eben auch irgendwie ihre Scheine machen“, sagt Fiand. Dennoch findet sie, dass es mehr Leute geben müsste, die unabhängig von der Uni im Garten helfen: „Wir brauchen geballte Energie, Leute, die sich voll auf die Arbeit in und am Garten konzentrieren“, sagt sie.
Die Existenzberechtigung des Gartens auf der Brache musste mühsam ausgehandelt werden. „Erst seit kurzer Zeit haben wir einen unbefristeten Zwischennutzungsvertrag mit den Grundstückseigentümern. Vorher mussten wir immer bereit sein, den Garten jederzeit wieder abzubauen“, sagt Fiand.
Ein Low-Budget-Projekt
Auch wenn die Anstiftung, eine Stiftung, die Gemeinschaftsgärten unterstützt, das Projekt fördert: Viel Geld ist nicht da für den Gartenbau. Die Kosten müssen so gering wie möglich gehalten werden. „Es ist ein Low-Budget-Projekt. Wir arbeiten mit Materialien, die für andere Abfall sind“, sagt Fiand.
Am meisten Sorgen bereitet ihr die Bewässerung der Beete. Da es kein funktionierendes Tanksystem gibt, mit dem man Regenwasser speichern könnte, muss das Wasser aus der Hochschule geholt werden. Das erschwert es den Menschen aus dem Heim, sich an der Gartenarbeit zu beteiligen. Solange es keinen Tank gibt, können sie sich nur um die Beete kümmern, wenn die Studenten im Garten sind.
Apropos Gärtnern: Fiand kommt vom Land. Ihr Onkel ist Biobauer. Huss hat mal in einem Hausprojekt in Spanien gelebt. Dennoch ist das gärtnerische Know-how der Studenten nach eigener Aussage begrenzt. „Wir brauchen definitiv mehr Gartenskills. Unser gärtnerisches Wissen ist Halbwissen. Manche haben auch gar keine Ahnung“, sagt Fiand.
Das wollen die Studenten ändern – durch Kontaktaufnahme mit erfahreneren Gärtnern. Sie machten bei einer Führung durch den Mauergarten mit. Mit den Kreuzberger Prinzessinengärten haben sie Pflanzen getauscht. Außerdem gibt es ganz in der Nähe des DGZ-Rings bereits einige professionell geführte Gärten. Sie sind Teil einer klassischen Kleingartenkolonie, der Kleingartenanlage Hamburg am Hamburger Platz. Auch von dort könnte Hilfe kommen oder, wie Huss es formuliert: „Da haben wir einen Workshop angefragt.“
Selbst wenn man professioneller werden will: Im Bermuda-Garten soll auch in Zukunft nicht nur gegärtnert werden. Eine Studentin möchte einen Graffiti-Workshop für die Kinder aus dem Heim anbieten. Es gibt die Überlegung zu einer Fahrradwerkstatt.
Tatsächlich: Auch an diesem Abend gibt es im Bermuda-Garten jede Menge zu tun – außer zu gärtnern. Studentin Daria aus der Schweiz sitzt mit ein paar Kindern an einem großen Tisch vor dem Bauwagen. Um einen Zeichenblock herum hat sie Buntstifte verteilt. Die Kinder zeichnen, lachen, erzählen.
Noch viel zu lernen
Der elfjährige Deniz ist der lauteste in der Gruppe: „Guck mal, was ich gezeichnet habe“, sagt er zu Daria und zeigt auf ein quadratisches Wesen, das ein bisschen wie Bernd das Brot aus dem Kinderkanal aussieht. „Das ist das Sandwichmonster“, sagt Deniz und lacht.
Ein paar Schritte weiter stehen vier junge Leute an einer improvisierten Kochstelle: Imad und Moussa, Lilith und Alex. Sie kochen das Abendessen, Chili. Ohne carne. Aus einer Lautsprecherbox wummert elektronische Musik.
In der Runde verständigt man sich auf Deutsch, manchmal per Zeichensprache. „Die Studenten sind ein bisschen unsere Deutschlehrer“, sagt Moussa. Es fallen aber auch immer wieder arabische Wörter. Lilith schreibt jedes Wort in ein kleines, ordentliche geführtes Vokabelheft.
„Ihr müsst uns noch ganz viel beibringen“, sagt sie zu Moussa und Imad, den beiden jungen Männern aus Syrien.
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