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Märchenhaftes Lernen

Nachhilfe Sommerliches Büffeln mithilfe der Grimms: In Ferienschulen wie der im Nachbarschaftsheim Schöneberg können jugendliche Flüchtlinge jetzt auch mit „Hänsel und Gretel“ ihr Deutsch verbessern

Buchstabengenaues Lernen als Freizeitbeschäftigung: in der Ferienschule im Schöneberger Nachbarschaftsheim Foto: Joanna Kosowska

Von Franziska Maria Schade

„Das ist ein deutscher Wald, da gibt es keine Bananen“, sagt Nadina Khammas grinsend. Die Schüler tragen gerade die Geschichte von „Hänsel und Gretel“ zusammen. Die Tische stehen im Viereck, sodass sich alle gegenübersitzen. Bei der sengenden Hitze sind alle Fenster des Klassenzimmers geöffnet, die roten Gardinen wurden zur Seite geschoben. Den Straßenlärm aber übertönen die Schüler, denn sie alle haben viele Fragen. Was bedeutet herumwälzen? Was passiert am Ende der Geschichte? Und wieso schreibt man „Gretel“ eigentlich groß?

Die Jugendlichen sind 17 bis 19 Jahre alt und besuchen jetzt in ihren Sommerferien drei Wochen lang das Nachbarschaftsheim Schöneberg, um ihr Deutsch zu verbessern. Sie alle sind syrische Flüchtlinge und haben sogenannte Willkommensklassen besucht, in denen sie die Sprache erlernten.

Ferienschulen wie in Schöneberg werden in Berlin von 20 verschiedenen Trägern ausgerichtet. Die Koordination aller Ferienschulen übernimmt die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), finanziert wird das Projekt von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. 645 Flüchtlingskinder aus aller Welt bekommen so die Möglichkeit, nicht nur Deutsch zu lernen, sondern auch Ausflüge zu unternehmen und an Medien-, Theater- oder Zirkus-Workshops teilzunehmen. Maximal 15 Schüler sind pro Lerngruppe vorgesehen. Bis auf Charlottenburg-Wilmersdorf wird in jedem Bezirk Ferienunterricht angeboten.

Anfang Juli waren 570 Plätze für Schüler von der Senatsverwaltung vorgesehen. Am Montag teilte die DKJS mit, dass die Senatsverwaltung den Bedarf aufgrund der aktuellen Flüchtlingszahlen als höher eingestuft und sehr schnell weitere 75 Plätze bewilligt habe.

Schule statt Freizeit

Die Jugendlichen haben sich freiwillig dafür entschieden, ihre wohl verdiente Freizeit mit Deutschkursen zu verbringen. Dass sie lernen wollen, merkt man im Unterricht in Schöneberg ganz deutlich. Lautes Geplapper aus deutschen und arabischen Wortfetzen dringt ans Ohr. Das hat nichts mit Mangel an Respekt oder Unhöflichkeit der Lehrkraft gegenüber zu tun. Nein, den Jugendlichen fallen nur immer wieder neue Fragen ein, die sie sofort loswerden wollen.

An diesem Tag werden anhand des Märchens „Hänsel und Gretel“ der Brüder Grimm verschiedene Lehrinhalte vermittelt. Der Text liegt den Schülern vor, allerdings sind alle Wörter klein geschrieben. Zuerst wird die Geschichte gemeinsam gelesen und anschließend von einer Schülerin wiedergegeben. Währenddessen fragen die anderen nach Vokabeln und Aussprache. Am Ende tragen sie ein, welche Wörter groß geschrieben werden.

Die Jugendlichen hätten alle gute Grundkenntnisse, und wie es bei Schülern ganz normal sei, lerne der eine schneller und der andere langsamer, sagt Lehrerin Nadina Khammas. „Ich nehme mir die Zeit, auf alle Fragen und Anregungen einzugehen, denn in der Schule haben die Lehrer dafür ja meist keine Zeit“, erklärt sie.

Das bestätigten ihr auch die Schüler. Es wäre manchmal sogar besser, wenn die Lerngruppen kleiner wären. „Dann könnte man noch mehr auf die einzelnen Schüler eingehen“, sagt Khammas. Sie unterrichtet seit zwei Jahren Deutsch als Fremdsprache am Goethe-Institut und der Volkshochschule Schöneberg. Sie habe selbst syrische Wurzeln und komme daher mit dem arabisch-deutschen Geplapper um sich herum auch gut klar, sagt die 31-Jährige.

Spaß und Teambildung

Dass sie lernen wollen, merkt man im Unterricht in Schöneberg ganz deutlich

Batool Al Ghabra freut sich, dass es die Ferienschule gibt. „Man lernt alles in der Schule, und nach den Ferien hat man das dann schon wieder vergessen“, sagt die 17-Jährige. Neun Monate hat sie schon in der Willlkommensklasse verbracht. Ihr Wille, die Sprache zu lernen, zahlt sich aus – nach dem Sommer wird sie die elfte Klasse des Hannah-Arendt-Gymnasiums in Rudow besuchen.

Oday Apohmeden sagt, er habe vor Berlin bereits sieben Monate in München verbracht, konnte dort aber keine Schule besuchen. Umso mehr freue es ihn, dass er hier auch in der schulfreien Zeit die Chance habe, weiter Deutsch zu lernen. „Unsere Lehrerin beantwortet jede Frage sehr gut, und der Unterricht macht richtig Spaß“, erklärt der 18-Jährige. Wenn er das benötigte Sprachzertifikat B1, das ihn für eine Ausbildung in Deutschland qualifiziert, erreicht hat, möchte er eine Ausbildung zum Mechaniker machen.

Zwar steht der Deutschunterricht im Vordergrund, doch bei Workshops und Ausflügen, die die Jugendlichen unternehmen, lernen sie vermutlich genauso viel. Bisher wurden ein Besuch im DDR-Museum, an der East-Side-­Gallery und eine Dampferfahrt unternommen. „Sie sollen sehen, wie viele Möglichkeiten es in Berlin gibt, weil ihnen das niemand gezeigt hat“, sagte Piruze Etessami, die die Ferienschule im Nachbarschaftsheim organisiert hat. Sie sollten Berlin aus dem Blickwinkel eines Touristen betrachten können.

Die Besuche machten nicht nur Spaß, sondern trügen zur Teambildung und zum Zusammenhalt bei. „Wenn wir unterwegs sind, singt die Gruppe oft gemeinsam und sie helfen sich gegenseitig“, sagt Etessami. Singen verbindet die Jugendlichen offensichtlich. Obwohl sie an diesem Tag schon nach dem Unterricht nach Hause gehen dürfen, treffen sie sich nach dem Mittag im Bewegungsraum des Hauses. Sie sitzen auf Stühlen, singen auf Arabisch, einige trommeln. „Wir haben hier neue Freunde gefunden“, erzählt Batool Al Ghabra.

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