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„Das große Versteckspiel“

NORMALITÄT Bedürfnisse von Schwulen und Lesben werden in der Pflege oft nicht wahrgenommen

Thomas Bartel

Foto: privat

62, hat als Journalist und Banker gearbeitet und ließ sich vor zwei Jahren zum Senioren-Assistenten ausbilden.

taz: Herr Bartel, welche Rolle spielt sexuelle Orientierung bei der Betreuung alter Menschen?

Thomas Bartel:Die Fragen sind immer gleich: Wer berührt mich? Wer geht wie mit mir um? Das gilt für alte Heteros ebenso wie für alte Homosexuelle. Aber für viele Lesben und Schwule, die zu Hause nicht mehr zurechtkommen und in eine Pflegeeinrichtung ziehen müssen, ist es noch schwieriger, denn dort beginnt das große Versteckspiel. Sie müssen sich etwa dafür rechtfertigen, was sie wieso nicht wollen oder sie müssen erklären, wieso weder Tochter noch Enkel vorbeikommen.

Das klingt so, als müssten Homosexuelle sich im Alter ein weiteres Mal outen, um ihr gewohntes Leben weiterführen zu können?

So ist es. Viele leben in einer sicheren privaten räumlichen Umgebung und müssen sich, wenn sie in eine Pflegeeinrichtung umziehen, wieder mit ihrer Sexualität auseinandersetzen. Das ist gerade für jene, die die Unterdrückung der Schwulen aus eigener Erfahrung kennen, besonders schwierig.

Wie sind Sie auf dieses Problem aufmerksam geworden?

Ich bin schwul und in meinem Umkreis ist die Frage der Betreuung im Alter ein Thema geworden. Denn auch Schwule und Lesben kommen in die Jahre, auch wenn man denkt, Schwule sind immer jung und quirlig.

Denkt man das?

Ältere Homosexuelle werden teilweise von der eigenen Community ausgegrenzt, weil sie da angeblich nicht mehr so richtig hingehören. Um also auch als alter Homosexueller ein Leben mit sozialen Bezügen führen zu können, wird der Ruf nach jemanden, der das versteht, immer lauter.

Was machen Sie mit alten Homos denn anders als mit alten Heten?

Bei der Senioren-Assistenz geht es immer um die individuellen Wünsche der jeweiligen Person und vor allem um das richtige Einfühlungsvermögen. Den einen begleite ich auf ein Konzert, für den anderen erledige ich Schreibarbeiten und dem Dritten lese ich vor. Das ist im Schwulen- und Lesbenbereich nicht anders als bei den Heterosexuellen. Aber wenn ein Schwuler Kaffee trinken will, gehe ich mit ihm nicht unbedingt in den Rosenhof zu Planten und Blomen, sondern ins Café Gnosa nach St. Georg. Das haben Heteros nicht so raus.

Interview: ILK

Senioren-AssistentInnen Thomas Bartel und Marlies Schwanhilde über „Schwule Senioren: Betreuung queerbeet“: 17 Uhr, Pride House, An der Alster 40