Schauspieler über Mord im „Tatort“: „Böse Rollen sind viel freier“
Achtmal hat Florian Bartholomäi im „Tatort“ schon den Mörder gespielt. Reizt das? Ein Gespräch über fiese Rollen und die Grenzen der Moral.
taz.am wochenende: Herr Bartholomäi, als Schauspieler haben Sie im Tatort Menschen ertränkt, geschubst, erwürgt, vergewaltigt, vergiftet, erschlagen und erstochen. Immer sind Sie der Mörder.
Florian Bartholomäi: Nicht immer.
Schon acht Mal.
Mir fällt gerade auf: Ich habe noch nie jemanden erschossen.
Würden Sie gerne?
Auf jeden Fall! Ich würde auch gern mal erschossen werden.
Sie sehen total harmlos aus. Wieso werden Sie so oft als Mörder gebucht?
Es hat damit angefangen, dass man mir eine Rolle als der typische Opfer-Täter anbot. Der Typ, der nur „aus Versehen“ jemanden umbringt, der normal aussieht und dem man nichts Schlimmes zutraut. Ich habe aber auch schon durch und durch böse Typen gespielt. Ich bin unsicher, weshalb mein filmisches Strafregister solche Ausmaße angenommen hat. Vielleicht ist es ja gerade spannend, wenn der Mörder nicht aussieht wie der typische Bösewicht.
Der Mann: Florian Bartholomäi, 28, ist in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen. Während seiner Schulzeit machte er Kampfsport und arbeitete als Statist an der Frankfurter Oper. Eine Schauspielschule hat er nicht besucht; seit 2006 lebt er in Berlin.
Der Schauspieler: Mit 17 spielte Florian Bartholomäi seine erste Hauptrolle im Kinofilm „Kombat Sechzehn“. Es folgten mehrere Filmprojekte, darunter 11 Mal eine Rolle im Tatort. 8 Mal spielte er dabei den Mörder.
Die Preise: Für seine Rolle als homosexueller Sohn eines Handelsvertreters im Kinofilm „Reine Geschmackssache“ erhielt Bartholomäi 2007 den Max-Ophüls-Preis als „Bester Nachwuchsdarsteller“. 2009 wurde ihm der Deutsche Fernsehpreis in der Kategorie „Beste männliche Nebenrolle“ sowie der Hessische Fernsehpreis für seine Doppelrolle in „Bloch: Schattenkind“ verliehen.
Welche Mörderrollen haben Ihnen am besten gelegen?
Den vergewaltigenden Kinderschänder-Psychopathen im Dortmunder Tatort „Auf ewig Dein“ fand ich schon gut. Der war von Grund auf böse. Der musste nichts mit einem Lächeln verstecken und den Leuten weismachen, er sei ja eigentlich ganz nett.
Was macht Ihre Mörder aus?
Die meisten Mörder, die ich gespielt habe, sind eher Opfer-Täter. Der Charakter im Dortmunder Tatort war schon ziemlich artifiziell, obwohl es ja auch Psychopathen im richtigen Leben gibt, die Empathie einfach an- und ausschalten können. Die brechen dir jeden Finger und fühlen nichts dabei.
Verstehen Sie diese Menschen besser, weil Sie sich viel mit ihren Psychen beschäftigen?
Ich will sie jedenfalls nicht einfach als „Mörder“ abstempeln, sondern verstehen, warum jemand etwas tut.
Wieso?
Ich will verstehen, was einen Menschen in die Lage bringt, so etwas zu tun. Ich habe viele Gerichtsprotokolle gelesen, in denen Menschen sagen: Ich wollte das eigentlich gar nicht. Ich finde es unfassbar, dass es diesen einen Moment geben kann, in dem alle gesellschaftlichen und sozialen Filter abgeschaltet sind. Und auch die Phase nach dem Mord, wenn versucht wird, das Ganze zu verstecken, finde ich psychologisch spannend. Das kann man mit Schachspielen vergleichen.
Haben Sie mal einen wirklichen Mörder getroffen?
Jeder von uns hat schon einen Mörder getroffen. Statistisch gesehen haben wir alle schon einen Menschen getroffen, der jemanden umgebracht hat, und sei es als Soldat in einem Krieg.
Trotzdem kann man einen Mörder nicht einfach zu einem Hintergrundgespräch treffen, um für eine Filmrolle zu recherchieren. Wie bereiten Sie sich auf diese Rollen vor?
Beim Autofahren. Wenn jemand seeeehr laaangsam vor mir fährt, habe ich mörderische Fantasien und schreie: „Ich bring den um!“ Wirklich jemanden als Vorbereitung umlegen geht ja nicht. Nein, Spaß! Ich lerne ja mit jeder Rolle mehr über die Psychologie des Menschen und lese nebenher darüber. Als Letztes hab ich ein Buch darüber gelesen, welche Techniken das FBI anwendet, um Leute zu verhören. Da stand zum Beispiel drin, wie man einen Narzissten so an seinem Ego kratzt, dass er dir beweisen will, wie toll er ist und sich dabei verrät.
Macht es mehr Spaß, den Bösen als den Guten zu spielen?
Klar. Wer spielt schon Faust, wenn er Mephisto sein kann? Böse Rollen haben eine Anarchie, die gute nicht haben. Als guter Charakter haben Sie viel engere moralische Grenzen und sind in diesen Grenzen gefangen. Wenn Sie böse sind, sind Sie viel freier und können austesten, wie weit Sie gehen können, wie sehr Sie Menschen mobben, beleidigen und verletzen können.
Geben Regisseure Ihnen, als bösem Charakter, auch mehr schauspielerische Freiheiten?
Klar. Es gibt ja tausend verschiedene Arten von Wut: hysterische Wut, panische Wut, unterdrückte Wut, Hass-Wut … Da darf ich meistens schon ein paar ausprobieren.
Dauernd wird in Filmen und im Fernsehen gemordet. Warum, glauben Sie, reizt das Böse so?
Ich glaube nicht, dass Menschen Horrorfilme oder Thriller gucken, weil sie von Gewalt geschockt werden wollen. Maschinengewehrgeballer berührt uns nicht mehr, dazu sind wir zu abgestumpft. Was den Zuschauer an bösen Charakteren im Film interessiert, ist, zu testen, wie viel Böses in einem selbst steckt. Jeder von uns unterdrückt dunkle Fantasien und Seiten seiner Persönlichkeit. Anstatt sie auszuleben, schaut man lieber einem Schauspieler dabei zu und beobachtet, wie man sich dabei fühlt, verliert sich in ihm, versteht ihn vielleicht oder beneidet ihn sogar.
Hinterlassen die Mörder, die Sie spielen, Spuren?
Das ist die ewige Frage, die sich ein Schauspieler stellt: Wie viel deiner Rolle nimmst du abends mit aufs Hotelzimmer? Bei mir ist es jedes Mal anders. Manchmal schminke ich mich ab, lasse die Rolle am Set und manchmal schleppe ich sie mit mir rum, genauso wie mir ein Streit beim Einkaufen im Supermarkt nicht aus dem Kopf geht. Und dann spiele ich gerade einen Kinder-Vergewaltiger und laufe an einem Spielplatz vorbei. Und natürlich sehe ich die spielenden Kinder und denke: „Oh Gott. Furchtbar!“ Du kannst solche Gedanken aber auch mit Humor vertreiben. Ich gehe dann zum Kameramann und frage ihn: „Sag mal, hast du eigentlich Kinder?“ Und er antwortet: „Flo, halt die Fresse, ich hab ’ne 12-jährige Tochter.“ Sowieso wird bei der Produktion von Dramen immer viel mehr gelacht als bei Komödien.
Mussten Sie in Ihrer ersten Rolle auch direkt jemanden umbringen?
Nein. Da habe ich einen Jungen gespielt, der meinte, seine Mitte gefunden zu haben. Die wurde aber noch nie überprüft. Dann zieht er um, und in seiner Klasse fragt man ihn: „Bist du rechts oder links?“ Er wird dann ein Skinhead, bringt aber niemanden um.
Wie kamen Sie zu dieser Rolle?
Ich war 17 und ging in Frankfurt am Main zur Schule. Seit meiner Kindheit war Kampfsport mein Hobby. Eines Tages gab mir mein Trainer einen Flyer, mit dem die Hauptrolle für diesen kleinen Kinofilm namens „Kombat 16“ gesucht wurde. Sie suchten jemanden, der Kampfsport macht, also habe ich ihnen eine Bewerbung geschickt – eine, wie man sie in der Schule lernt zu schreiben. Das fanden sie, glaube ich, komisch und luden mich deshalb zu einem 11-stündigen Casting ein – um zu schauen, ob ich einen ganzen Drehtag durchstehe. Das habe ich und dann bekam ich die Rolle. Der Film lief auf ein paar Festivals und irgendwann fand ich eine Agentur. Mein zweiter Film war dann gleich ein Leipziger Tatort.
Und, haben Sie getötet?
Nein, aber die Rolle war genauso schlimm: Ich musste Behinderte verhauen. Das war eine absolut miese Schlägerrolle. Ich werde nie vergessen, wie ich mit meinem Kollegen, der Down-Syndrom hatte, zusammensaß und ihm erklären musste, dass ich ihn gleich haue, aber danach gleich wieder nett zu ihm sein werde. Den Ablauf „Action, danke, aus“ hat er nicht immer verstanden. Und ich war 18 und total überfordert.
Und sind auf keine Schauspielschule?
Nein, ich treffe aber ab und zu einen Coach in Berlin. Es gibt noch viel zu lernen.
Auch im Kampfsport? Machen Sie das weiterhin?
Keinen Kampfsport, sondern Kampfkunst, zurzeit Wing Tai. Da geht es weniger darum, Pokale zu gewinnen, als sein Körperbewusstsein zu schärfen. Das ist ganz ähnlich wie bei der Schauspielerei. Alle Schauspielschulen in den USA haben mittlerweile verstanden, dass Kampfkunst zur Ausbildung gehört. In Deutschland ziehen sie langsam nach und bieten Tai Chi oder Aikido an. Der Körper ist schließlich das wichtigste Instrument eines Schauspielers, ihn kontrollieren zu können ist enorm wichtig. Beim Theater ist das noch viel wichtiger. Wenn man auf einer Bühne steht, muss man nicht nur gut spielen, sondern auch wissen, was man mit seinem Körper macht. Wenn ich ins Theater gehe und sehe, dass jemand das nicht kann, interessiert mich das Spiel auch nicht mehr wirklich, weil ich denke: Da fehlt ein Teil von ihrem Instrument.
Tatort ist ja so ein Kollektivereignis: Sonntag, viertel nach acht – WGs gucken zusammen, Familien, Freunde. Saßen Sie früher mit Ihren Eltern vorm Fernseher?
Ja. Und ich mochte das auch, diese sonntägliche Tradition. Ich bin immer wieder überrascht, wie Tatort schauen heute gehypt wird, in Bars oder beim Public Viewing. Der Tatort ist eine der wenigen beständigen Sachen, er ist kulturell in unserer Gesellschaft verankert.
Im Schnitt hat er über 12 Millionen Zuschauer. Und damit er auch eine gesellschaftliche Verantwortung?
Mit so einer großen Zuschauerzahl kann man auf jeden Fall ein Bewusstsein schaffen. Natürlich geht das auch in einem kleinen Kinofilm, aber den sehen halt nicht so viele Leute. In einem Stuttgarter Tatort ging es einmal um eine Mutter, die „illegal“ in Deutschland ist – und ihre zwei Kinder, die hier zur Schule gehen und auch hier geboren sind. Es gab damals für diese statuslosen Kinder keine gesetzliche Grundlage, die Schulpflicht gab es aber. Die Lage war furchtbar: Hätte man in der Schule diese Kinder gemeldet, dann wären sie abgeschoben worden. Hätte man die Kinder in der Schule nicht gemeldet, dann hätte man sich strafbar gemacht. Im Anschluss an den Tatort wurde diese Frage dann in einer Politikrunde diskutiert, mittlerweile gibt es auch ein Gesetz dazu.
Was müsste der Tatort anders machen, um noch mehr jüngere Zuschauer anzuziehen?
Der Hessen-Tatort „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur wurde viel von Jugendlichen geschaut. Man kann keinen Tatort für 18- bis 88-Jährige machen. Was ich mir für den Tatort wünschen würde, sind Zeitsprünge. Dass man eine Geschichte mal über ein halbes Jahr erzählt. Die meisten Tatorte handeln innerhalb von einer Woche den Fall ab: Da gibt es eine Leiche, dann fängt die Ermittlung an und nach einer Woche haben sie den Typen. Wenn jemand stirbt und ich geschockt bin und dann ist der Tatort zu Ende: Wie sehr kann sich meine Figur dann verändern und entwickeln?
Haben Sie das mal vorgeschlagen?
Ja, immer wieder. Ich glaube, das wäre die Revolution für den Tatort.
Überlebt er noch zwanzig Jahre?
Ja. Na ja. Noch mindestens zehn.
Es gibt immer wieder anspruchsvolle deutsche Krimi-Formate wie Dominik Grafs Serie „Im Angesicht des Verbrechens“. In der ARD lief die Mini-Serie freitags um 21.45 Uhr – also zu einer eher ungünstigen Sendezeit. Sind die Deutschen an komplexeren Formaten, in denen der Mörder eben nicht schon nach 90 Minuten gefunden wird, weniger interessiert?
Nein. Aber man muss das deutsche Publikum fordern. Je mehr man das tut, desto besser die Produktionen. Im Herbst startet bei RTL die Serie „Deutschland 83“, in der ich eine Nebenrolle habe. Da geht es um Spionage im geteilten Berlin 1983. Das läuft gerade auf dem Sundance Film Festival und die Amis lieben es. Dann gab es vor Kurzem die internationale Koproduktion „The Team“, vier Folgen, ein durchgehender Fall im ZDF. Das kam allerdings auch um 22.15 Uhr. „Weissensee“ ist auch eine tolle Serie. Wir haben schon ein paar gute Sachen im deutschen Fernsehen.
Was fehlt?
Es gibt zu wenig Science-Fiction bei uns. Klar können wir visuell nicht mit den Amerikanern mithalten, aber uns fehlt allein das Gedankenkonstrukt. Gerade habe ich eine Kurzgeschichte von Isaac Asimov, einem der Urväter von Science-Fiction, gelesen. Da geht es um einen Physikprofessor, der ein ganz normales Leben mit seiner Frau führt, ohne Raumschiffe oder Aliens. Eines Tages entdeckt er, dass er schweben kann. Seine Welt bricht zusammen, denn das verstößt gegen die Gravitationsregel und alles, was er glaubt. Das ist eine ganz simple, aber meiner Meinung nach wahnsinnig spannende Idee. So etwas könnte in Deutschland ruhig mehr gemacht werden, aber hier tendiert man eher zum Realismus.
Apropos Realismus. Bartholomäi, woher kommt eigentlich Ihr Nachname?
Bartholomäus war der Apostel, der als Märtyrer lebendig gehäutet und anschließend kopfüber gekreuzigt wurde. Die Bartholomäusnacht war ein Massaker an französischen Protestanten während der Hugenottenkriege. Vielleicht kommt ja daher mein Hang zum Bösen.
Und der wieder und wieder zu sein, langweilt Sie nicht?
Langweilig wird es nie, jede Rolle ist anders. Aber ich versuche schon, weniger Mörderrollen anzunehmen. Dieses Jahr habe ich noch gar keinen Krimi gedreht, sondern eine Indie-Produktion und eine Theaterverfilmung, über den Sommer bin ich in Stuttgart und drehe eine Komödie. Ansonsten liegt das Jahr blank vor mir und füllt sich langsam.
Macht Sie das nervös?
Nein, früher schon, aber man gewöhnt sich daran. Das ist halt so in diesem Beruf. Ich finde es immer witzig, wenn die Leute sagen: „Schauspieler ist doch so ein unsicherer Beruf.“ Was ist denn schon sicher in der heutigen Arbeitswelt? Die meisten meiner Freunde arbeiten frei, hangeln sich von Vertrag zu Vertrag. Und für junge Leute in anderen Ländern sieht es noch viel schlimmer aus.
Also bleiben Sie beim Film?
Ich liebe das Medium Film, würde aber gern mal Theater spielen. Langsam fühle ich mich beim Film so angstfrei, dass ich gern testen würde, ob die Angst im Theater zurückkommt. Ich stelle es mir toll vor, wenn Zuschauer dir direktes Feedback für dein Spiel geben. Die Möglichkeit, am Ende eines Stücks mit einem Kohlkopf beschmissen zu werden, ist super. Ich meine: Wie weit kann ein Manager schon fallen? Auf ein 8.000- Euro-Gehalt? Furcht ist eine super Motivation.
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