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Schwitzen, Tanzen, Kunst

CROSSOVER Wunschmaschinen und Nebeldisko in Wilhelmsburg: Das „Artville“ ist der gelegentlich unterschätzte Kunstschatz des ebenfalls demnächst anstehenden Dockville-Musikfestivals

Fantastisches Areal: Beim „Artville“ 2014 hingen auch mal Fahrräder in den Bäumen   Foto: Pablo Heimplatz

von Katja Lah

Musik allein erfüllt die Sinne nicht. Daher gehört zum Dockville-Festival diese Kunststadt namens „Artville“. Künstlerinnen und Künstler beleben mit ihren Arbeiten – Performances, Malerei, Skulpuren – das Areal, über dem DJs und Musiker Klangteppiche ausrollen. Und doch soll „Artville“ nicht als reine Dekoration verstanden werden.

Dass die Künstler im Dorf leben und arbeiten, während Zuschauer ihre Ateliers besuchen können: Die „Krautzungen“ nehmen sie nicht allzu ernst. Ihre „interdisziplinäre Ausstellung“ mit dem Titel „Die Unterirdischen“ ist nur an drei Tagen zugänglich: Vom 7. bis 9. August errichtet das 2011 als „Labor für pragmatischen Utopismus“ gegründete Künstlerkollektiv eine Basisskultpur aus Bauschaum, Holz und Gips. Jedes der 15 „Krautzungen“-Kernmitglieder wird die Skulptur zum Thema „Boheme in der Stadt“ bearbeiten – in Anlehnung an Jack Kerouacs Buch „Bebop, Bars und weißes Pulver“. Unter anderem laden die „Krautzungen“ dann auch noch in die „Nebeldisko“: ein weißer Kubus, in dem geschwitzt und getanzt und – wegen des dicken Nebels – nichts gesehen werden kann, dafür aber umso besser Musik gehört.

Ganz anders präsentiert sich Fehmi Baumbach mit ihrem verwirrenden Fest für die Augen: Sie fertigt Collagen aus Printschnipseln und Fotoauschnitten; sie verbindet isolierte Körperteile mit geometrischen Strukturen oder das Bildmaterial alter Meister mit realem Garn, das ihre oft nur DIN-A4 kleinen Bilder vergittert. Ihre polyvalenten Perspektiven greifen dabei unterschiedliche Epochen der Malerei auf. Starke Farbkontraste wechseln sich ab mit dezenter pastellgrauer Coloratur.

Mystischer Motive bedient sich dagegen Hanna Lena Hases Kunst: Ihre Leinwände sind bunt gemusterte Stoffe. Das Tapeten-Ornamentale steht im Kontrast zu den aufgemalten, unheimlich wirkenden Figuren, deren Gesichter nicht ausgeführt sind und die durch unangemessen wirkende Posen in eine schräg-farbige Umgebung expandieren: Da reiten grüne Körper mit Gitterkopfschmuck auf Fabelwesen und vogelförmige Geschöpfe besetzen pilz- und blumenartige, transparente Gewächse inmitten von Wäldern mit geblümten Baumstämmen.

Lena Galitsch stellt ebenfalls in der Artville aus. Die freischaffende Designerin „mit Vorliebe für neue Medien“ präsentiert seltsame Apparate, deren Schönheit sich aus nostalgisch anmutenden Materialien wie Bahnhofsuhren und Hammerschlag-lackierten Stempeluhren ergibt. Was immer aus Automaten herauskommt, verbindet die junge Frau, die als Zehnjährige aus Kasachstan emigrierte, mit Hoffnung. Sie bastelt Automaten, mit denen sich die Zeit anhalten lasse – gegen Münzeinwurf. Die Weiterentwicklung dieser In­stallation, Titel: „Time Maschine III“, wird nun das erste Mal für Besucher in einer verborgenen Ecke des Artville-Camps zu sehen sein. „Man wird sich hier in einem Raum mit 12 laut tickenden Bahnhofsuhren gegen ein paar Cents Zeit kaufen können“, verspricht Galitsch.

Aufgefallen war sie bereits 2011 mit ihrer „Machine for major understanding“: Der „Phantasieseismograph“ bestand aus einer Kopfbedeckung mit eingebautem EEG-Messgerät und setzte die elektrischen Impulse, die das Gehirn erzeugte, ins Leuchten einer Glühbirne um. „Die Vorstellung, immaterielle Werte wie Fantasie oder Zeit durch Münzeinwurf einfach kaufen zu können, ist natürlich auch eine Ironisierung unserer Konsumhaltung“, sagt sie. Sie ist ab dem 8. August an den Wochenenden selbst vor Ort.

Eingeweiht wird das Artville mit dem „Richtfest“: Den eigentlich Termin am Samstag mussten die Veranstalter kurzfristig um einen Tag verschieben – Sturmwarnung.

Artville 2015: So, 25.7. bis Sa, 15.8., Reiherstieg Hauptdeich/Ecke Alte Schleuse

Programm: http://msdockville.de

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