ZAHNPASTA-OVERKILL: Sie hat’s nicht leicht
Im Supermarkt um die Ecke arbeitet Frau A. Frau A. ist etwa 20 Jahre alt, bilingual aufgewachsen und perfekt geschminkt. An einem Samstagabend kurz vor Ladenschluss um 22 Uhr stehen vier Männer vor ihr. Sie kaufen Dosenpfirsiche, Olivenöl und Zahnpasta, allerdings kistenweise. Einer hievt die Kisten auf das Kassenband, der Zweite hebt sie in einen Einkaufswagen, ein Dritter wartet darauf, das Ganze von dannen schieben zu können.
Der Vierte im Bunde steht vor Frau A. und will mit einem 500-Euro-Schein bezahlen. Frau A. nimmt den Schein, seufzt und erklärt wortreich, dass sie nicht wechseln könne. Die Männer verstehen aber weder Deutsch noch Türkisch. Also wedelt Frau A. mit dem lila Schein in der Luft und ruft „Kotschi“. Kotschis Stimme antwortet aus dem Off, sie solle den Schein einfach nicht annehmen. Die vier Männer lächeln betreten und diskutieren miteinander.
Die Schlange hinter ihnen wird währenddessen immer länger.
Da schaltet sich ein älteres Pärchen ein. Der Mann informiert Frau A. auf Türkisch, dass er den Schein wechseln könne, verhandelt auf Deutsch mit den Männern und alle werden sich einig. Nun muss Frau A. nur noch die verbleibenden etwa 200 Zahnpastatuben abbuchen. Sie zählt laut und immer zwei auf einmal. Gleichzeitig entschuldigt sie sich fortwährend bei dem geduldig wartenden Schlangenpublikum. „Ich hab’s ja auch nicht leicht“, sagt sie mehrmals, und dann: „Gleich hab ich’s, zwei, vier, sechs, nur noch diese drei Kisten, 28, 30, 32, 34, ich kann ja auch nichts daran ändern, 44, 46, 48, 50, ich heule gleich.“ Tut sie dann doch nicht. Endlich ist es geschafft, die Männer sind samt ihrer 500-Euro-Zahnpasta im Dunkel des Parkplatzes verschwunden und Frau A. kann sich wieder hinsetzen. Sie lüftet ihre Supermarktbluse und seufzt einmal. Dann kann es weitergehen. CATARINA VON WEDEMEYER
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