Erneuerbare überflügeln AKWs

ENERGIE Der neue Nuklearreport dokumentiert den weltweiten Niedergang einer Branche. Der Anteil der Atomkraft an der Weltstromproduktion sinkt immer weiter

Bewacht: Atomkraftwerk im chinesischen Quinshan Foto: reuters

von Bernward Janzing

Der weltweiten Atomlobby kommt der alljährliche Bericht stets ungelegen: Gestern publizierte der in Paris ansässige Atom­experte Mycle Schneider zusammen mit seinem Team den neuen Weltnuklearreport. Dieser dokumentiert inzwischen seit Jahren wiederkehrend den Bedeutungsverlust der Kernspaltung in der internationalen Energiewirtschaft – und das ist nicht gerade im Sinne der Branche, die einen gegenteiligen Eindruck erwecken will.

Doch nüchtern betrachtet ist der Niedergang der Nukle­ar­energie längst unverkennbar, und er resultiert nicht alleine daraus, dass Japan im Jahr 2014 erstmals seit 45 Jahren keine einzige Kilowattstunde Atomstrom produzierte. Es ist vielmehr vor allem der Boom der Erneuerbaren, der in zahlreichen Ländern die Atomkraft ausbremst.

So produzieren inzwischen drei der vier größten Volkswirtschaften der Welt – nämlich China, Deutschland und Japan – mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Atomkraft. Und das gilt sogar, wenn man die Wasserkraft als traditionelle Regenerativenergie nicht mitzählt. In China zum Beispiel erzeugten im vergangenen Jahr alleine die Windkraftanlagen mehr Strom als alle Atomkraftwerke zusammen: 158 gegenüber 124 Milliarden Kilowattstunden.

Und der Trend hat nicht nur die großen Volkswirtschaften erfasst. Auch in weiteren Ländern tragen Windkraft, Sonne und Biomasse heute mehr zum Strommix bei als die Kernspaltung, nämlich in Brasilien, Indien, Mexiko, den Niederlanden und Spanien. In der Summe repräsentieren dieses acht Länder mit Ökostrom-Überhang übrigens drei Milliarden Menschen, und damit rund 45 Prozent der Weltbevölkerung.

Der Anteil der Atomkraft an der Weltstromproduktion liegt nun schon im dritten Jahr unter 11 Prozent; Mitte der neunziger Jahre hatte der Wert noch bei über 17 Prozent gelegen. Die Atombranche verweist zwar gerne auf die Reaktoren, die rund um den Globus gerade im Bau sind. Doch einige dieser Projekte sind nicht gerade geeignet, das Bild einer von Kraft strotzenden Branche zu zeichnen. Auf drastische Weise zeigt sich das in Europa: Der Bau der beiden Meiler im finnischen Olkiluoto und im französischen Flamanville hat sich wegen technischer Probleme um viele Jahre verzögert, während zugleich die Kosten explodierten – längst sind die beiden Projekte zu einem ökonomischen Desaster geworden.

Weltweit sind laut dem neuen Report aktuell 62 Reaktoren im Bau, und das sind fünf weniger als noch ein Jahr zuvor. Im vergangenen Jahr wurden gar nur drei Projekte neu gestartet, gegenüber 15 im Jahr 2010. Damit fällt es der Branche zunehmend schwer, eine rege Bautätigkeit zu mimen. In zehn der 14 Länder, in denen momentan Reaktoren gebaut werden, seien alle Projekte inzwischen gegenüber den Planungen verspätet, viele davon um Jahre, heißt es in dem gut 200 Seiten starken Bericht. Fünf Reaktoren sind sogar schon seit inzwischen 30 Jahren als „in Bau“ gelistet.

Entsprechend gefleddert stehen inzwischen die Atomfirmen da. Der Kurs der Aktie des weltgrößten Atomkonzerns Areva sank vergangene Woche auf einen neuen historischen Tiefstand. Seit dem Jahr 2008 hat die Aktie 90 Prozent ihres Wertes verloren. Nun soll der französische Staatskonzern EdF Teile der strauchelnden Firma übernehmen.

Mycle Schneider kann sich dennoch drastische Szenarien vorstellen: „In 5 bis 10 Jahren könnten große Energiekonzerne Pleite gehen.“