Mehr als Kleiderbügel auf Highheels: Wir lassen uns das Glänzen nicht verbieten
Ausgehen und Rumstehen
von Jenni Zylka
Manche Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf. Zehen in Nylonstrumpfhosen, die sich verschämt in die offene Sandale zurückziehen, zum Beispiel. Während der Modewoche hatte der U-Bahnhof Friedrichstraße sich nämlich textilpädagogisch richtig Mühe gegeben, und ein (altbekanntes) Zitat von Vogue-Chefin Anna Wintour an die Wände projiziert: „Never wear thighs! NEVER!!“
Schade, dass die hinter Sonnenbrille und Bob auffällig langsam schrumpelnde Wintour bislang noch nichts Zitierfähiges über diese neuen zehenfreien Nylons losgelassen hat, die sind noch gruseliger.
Ansonsten: Allet wieder schick jewesen, im wahrsten Wortsinn, auf der kleingeschrumpften Mercedes Benz Fashion Week. Wir lassen uns das Glänzen nicht verbieten! 210 Dosen Gel und Pomade sind während der tollen Tage verbraucht worden, meldet die Pressestelle. Und 560 Dosen (hoffentlich FCKW-freies) Haarspray. Einige davon vermutlich am Freitag bei der Show des österreichischen Supergirls, der Lederchica Marina Hoermanseder, das der Hauptstadt treu bleibt, obwohl es inzwischen (vermutlich) lukrative Kooperationen mit Wodka-Marken und Fluglinien eingegangen ist.
Für ihre Sommershow im Kronprinzenpalais hatte das ideenreiche Fräulein die Models mit jeder Menge hübscher kleiner, seltsam unorganisch wirkender Lederblüten verziert, akkurat appliziert auf festgesprühten Hinterköpfen und Scheiteln. Die beeindruckenden Kernteile ihrer Kollektion boten die Blüten zudem auf harten Lampenschirm-Röcken und Hoermanseders Signature-Korsetts an: 8.000 Knospen hatte man per fleißiger Hand hergestellt. Hoermanseder weiß ganz genau, was sie will – eine irre Melange aus Tracht und futuristischer Pastellblume. Und da es bei ihr nicht ums Herumschlappen-in-Style, sondern um Aussage geht, steckte sie die Models in meterhohe Highheels, die gleich zwei von ihnen beim Stöckeln gegen die Sonne zum Verhängnis wurden. Was dem Erfolg der komplett überzeugenden Show keinen Abbruch tat.
Die Berlinerin Esther Perbandt hatte am Donnerstag ebenfalls hübsche Ideen: Sie ließ ihre Show von der Sopranistin Nadja Michael und dem Tenor Felix Räuber besingen. In Perbandts eckige, nonchalante, schwarze und weiße Unisex-Entwürfe gehüllt, kamen die beiden tirilierend auf den Laufsteg und blieben während des Defilees wie zwei freundliche, musikalische Kerberosse dort stehen. Nichts gegen Mannequins, aber es ist immer wieder erfrischend, Menschen Mode präsentieren zu sehen, die nicht ausschließlich wegen ihrer Kleiderbügelqualitäten gecastet wurden. Perbandt ist da eh weiter als andere, darum schlurfte auch Alexander Scheer zwischendurch grinsend im Perbandt-Schick über den Steg und zwinkerte guten FreundInnen im Publikum zu. Oder tat jedenfalls so.
Zwei Tage vorher hatten bereits andere gute FreundInnen gezeigt, was sie draufhaben, und im Rahmen des Berliner Modesalons eine Retrospektive der letzten Kollektion von Dietrich Emter organisiert. Der sich mit wenigen Teilen und einem farbintensiven, klaren Stil direkt in Modenarrenherzen gezauberte Emter hatte im Sommer letzten Jahres Selbstmord begangen – ein hochtragisches Modeopfer. Bei der Retrospektive sieht man in tableauartigen Aufbauten schöne Damen-Zweiteiler und opulente Kleider aus bedruckten Stoffen, die wie Segel um Schaufensterpuppen vertäut werden, verloren und traurig flattern sie zum Abschied, während ein Ventilator einen Haufen Entwurfsskizzen auf Papier in die Ecke geweht hat.
Irgendwann kann man eben nicht mehr: Der Sponsorensekt macht spätestens am Sonntagabend sowohl Modemutige als auch -feige müde. Das mit den Strumpfhosen haben sie sich aber hoffentlich hinter die teuer geschmückten Ohren geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen