Verlierer auf beiden Seiten des Atlantiks

TTIP Am Montag beginnt in Brüssel die zehnte Verhandlungsrunde zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Kommission über das geplante Freihandelsabkommen. Unternehmen sollen freien Zugang zu den Märkten auf beiden Kontinenten bekommen – zu Lasten der Verbraucher

Illustration: Christian Barthold

Die Internet-Provider in der EU dürfen schon mal in weihnachtliche Vorfreude ausbrechen. Bald sind sie verabschiedet, die neuen Regeln zum elektronischen Binnenmarkt und mit ihnen eine wachsweiche Regelung zur Netzneutralität. Oder besser zur Netz-Nichtneutralität? Provider können dann mit Segen aus Brüssel Spezialdienste anbieten und damit doppelt kassieren – bei den Inhalteanbietern und bei den Kunden. Zu transportierende Daten zahlungskräftiger Akteure sind dann schneller am Ziel, deutlich bemerkbar macht sich das etwa bei Videos.

In den USA ist man weiter: Hier ist im Juni eine Regelung der Aufsichtsbehörde FCC in Kraft getreten, die Provider zur Gleichbehandlung sämtlicher über das Internet zu transportierender Daten verpflichtet. Gut nicht nur für Kunden, sondern auch für NGOs, Initiativen und Privatpersonen, die im Netz Inhalte anbieten.

Das Medikament Contergan hat in den sechziger Jahren in europäischen Ländern für schreckliches Leid gesorgt: Zehntausende Kinder kamen mit zu kurzen Armen, Beinen oder geschädigten Organen zur Welt. In den USA nicht. Dort wurde Con­ter­gan nicht zugelassen.

In den Vereinigten Staaten gelten sehr viele strenge Regeln für die Zulassung von Arzneimitteln. Das gilt auch für Medizinprodukte wie Prothesen, Herzschrittmacher oder Brust­implantate. Die US-Behörden schreiben bei mehr Produkten klinische Studien vor als die EU. Hierzulande reichen häufig dubiose Siegel für eine Zulassung. Auch veröffentlichen die US-Behörden viel mehr Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und zu Problemen bei Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Mais ist nicht gleich Mais. Je nachdem, ob er gentechnisch verändert wurde oder nicht, hat er potenziell unterschiedliche Auswirkungen auf Lebewesen und Umwelt. In der EU gilt dabei das Vorsorgeprinzip. Lebensmittel oder Produkte dürfen nicht auf den Markt gebracht werden, wenn negative Folgen für Umwelt, Tiere oder Menschen zu befürchten sind – auch wenn das natürlich immer eine Definitionsfrage der zuständigen Behörden ist. In den USA ist das anders: Um Produkte auf den Markt zu bringen, reicht es, dass kein Schaden zu erwarten ist. Das hat Auswirkungen auf den Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen, aber auch mit Chemikalien oder Hormonen: So sind etwa Antibiotika zur Wachstumsförderung für Schweine oder Rinder in der EU verboten, in den USA aber erlaubt.

von Anja Krüger und Svenja Bergt

Warum werden Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon oder Apple in den USA groß? Klar, weil dort das Risikokapital sitzt. Aber vor allem: weil es fast keine gesetzlichen Regelungen zum Schutz von persönlichen Daten der Verbraucher gibt. In den USA basiert Datenschutz meist auf selbst auferlegten Pflichten der Unternehmen – erst wenn sie sich nicht daran halten, können Verbraucher oder Aufsichtsbehörden dagegen vorgehen.

In der EU gelten dagegen zumindest einigermaßen strenge Regeln: Zum Beispiel die Zweckbindung, wonach persönliche Daten nicht für einen Zweck erhoben und für einen anderen verwendet werden dürfen; der Grundsatz der Datensparsamkeit; und Verbraucher müssen in eine Verarbeitung einwilligen. Noch. In den Entwürfen für eine EU-Datenschutzgrundverordnung zeichnet sich schon ein Aufweichen der Regelungen ab. Womöglich schon ein Vorgriff auf die Freihandelspläne.

Zu streiken ist in Europa weitaus einfacher als in den USA. Dort gibt es nur ein löchriges Streikrecht. Grundsätzlich ist das Recht, sich zu organisieren, für Arbeitnehmer in Europa weitaus stärker ausgeprägt als in den USA. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten haben die europäischen Länder alle acht Kernnormen der Internationale Arbeitsorganisation ILO ratifiziert. Deshalb gibt es hierzulande ein Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge, in den USA nicht.

Gewerkschaften und Betriebsräte spielen dort kaum eine Rolle. Die Folge: Hire and fire sind an der Tagesordnung, langfristiger Kündigungsschutz ist unbekannt. Urlaub gibt es auch weniger. Außerdem: In Europa sind die Regeln für den Gesundheitsschutz für Beschäftigte strenger.

Strenger: Finanzaufsicht

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In den Vereinigten Staaten gibt es weitaus strengere Regeln für die Finanzmärkte als in Europa. Insidergeschäfte, Schmiergeldzahlungen oder Zinsmanipulationen werden unnachgiebig geahndet. Aktiengesellschaften werden bei Regelverstößen zum Beispiel vom Börsenhandel ausgeschlossen, das gilt auch für klassische Industrieunternehmen.

Manager werden in den USA persönlich sehr viel eher zur Verantwortung gezogen als in Europa. Nach großen Pleiten wie der des Energieunternehmens Enron wurden die Verantwortlichen vor Gericht gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. In Europa steht die Strafverfolgung von Wirtschaftsbossen erst am Anfang. Die USA sind in Sachen Finanzaufsicht lernfähiger: Viele strenge Regeln sind Resultat von Krisen und Crashs.

Die EU und die USA wollen Hemmnisse für den Han­dels­aus­tausch beseitigen und einen Wirtschaftsraum mit 800 Millionen Verbrauchern schaffen. Damit sich Waren und Dienstleistungen problemlos auf beiden Seiten des Atlantiks vermarkten lassen, werden Standards und Wettbewerbsvoraussetzungen angeglichen. Dabei haben Verbraucher hier wie dort viel zu verlieren – Unterschiedliches. Was die Unterhändler unter Handelshemmnis verstehen, sind in den USA oder in der EU wichtige Standards. Es droht die Harmonisierung auf dem schlechteren Niveau. Jeweils drei Beispiele zeigen, was in den USA und was in der EU besser ist.