Essebsi verhängt Notstand

TUNESIEN Nach dem Attentat auf Touristen in Sousse erhalten die Sicherheitskräfte Sondervollmachten. Auch demokratische Rechte können eingeschränkt werden

Touristen nach dem Anschlag in Sousse  Foto: Mohamed Messara/dpa

von Reiner Wandler

MADRID taz | Gut eine Woche nach dem Anschlag in Sousse hat sich Tunesiens Präsident Béji Caid Essebsi in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung gewandt. „Das Land befindet sich in einer besonderen Form des Krieges“, sagte der 88- jährige Staatschef am Samstagabend und verhängte einen 30-tägigen Notstand. Er regierte damit auf den Überfall auf das Strandhotel Imperial Marhaba durch einen bewaffneten Islamisten, bei dem 38 Menschen, meist britische Touristen, ums Leben gekommen waren.

„Wenn sich die Ereignisse von Sousse wiederholen, kollabiert das Land“, warnte Essebsi. Zu dem Attentat hatte sich, wie bereits im März zum Überfall auf das Museum Bardo in Tunis, der Islamische Staat (IS) bekannt.

Der Ausnahmezustand gibt den Sicherheitskräften besondere Befugnisse. Hausdurchsuchungen werden erleichtert, Veranstaltungen und Versammlungen können verboten, Presseberichte zensiert werden, sofern sie die „öffentliche Ordnung“ des Landes bedrohen. Neben der Gefahr durch Dschihadisten erwähnte Essebsi auch die zahlreichen Streiks in Tunesien.

Der Ausnahmezustand war erst im März 2014 aufgehoben worden. Er wurde von Diktator Ben Ali wenige Tage vor seinem Sturz am 14. Januar 2011 verhängt. Die Übergangsregierungen sowie die erste frei gewählte Regierung hielten ihn aufrecht, bis das Land eine neue Verfassung hatte.

Die Rückkehr zu den Sonderbefugnissen für die Polizei ruft bei so manchem Sorge hervor. „Der Ausnahmezustand kann ein hervorragendes Unterdrückungsinstrument sein“, warnt der tunesische Politikexperte und Journalist Selim Kharrat gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Er fragt sich auch, warum der Ausnahmezustand erst acht Tage nach den Anschlägen verhängt wurde.

Die Rückkehr zu Sonderbefugnissen für die Polizei ruft auch Sorge hervor

Essebsi versucht die Befürchtungen, die Maßnahmen könnten die erst vor Kurzem gewonnenen Freiheiten einschränken, zu zerstreuen. Er rief die Presse aber zur Zurückhaltung auf. Alle müssten die „außergewöhnlichen Umstände“ berücksichtigen, die das Land derzeit durchlebe, „um nicht eine Situation zu schaffen, die den Plagen hilft, die wir bekämpfen“, sagte Essebsi.

Der Ausnahmezustand ist eine Flucht nach vorn. Denn in der vergangenen Woche wurden immer mehr Details über den Hergang des Anschlags in Sousse bekannt. Die Polizei kam viel zu spät an den Tatort. Der Schütze – ein 23-jähriger Student, der vermutlich in Libyen ausgebildet wurde – konnte ungestört eine halbe Stunde mit einem Schnellfeuergewehr Jagd auf Touristen machen. Der erste Beamte, der vor Ort eintraf, hatte Angst und gab seine Pistole an einen Hotelangestellten weiter. Die Waffe hatte Ladehemmungen.

„Die Reaktionszeit der Polizei – da lag das Problem“, gab Regierungschef Habib Essid am Freitag gegenüber der BBC zu. Mittlerweile wurden acht weitere vermutliche Komplizen des Todesschützen verhaftet, darunter eine Frau. 1.400 Beamte sind abgestellt worden, um Strände und Hotelanlagen zu schützen.Meinung + Diskussion