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„Hunger lässt sich hoffentlich vermeiden“

Griechenland Im Falle des Scheiterns der Verhandlungen befürchtet Athanassios Kelemis, Chef der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen, „katastrophale Zustände“. Er rechnet mit der Rationierung von Nahrungsmitteln in Griechenland – und hat Angst, dass Europa zerbricht

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Athanassios Kelemis

Der 55-Jährige leitet die Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer in Athen. Sie fördert die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern.

taz: Herr Kelemis, die scheinbar letzte Frist zur Einigung zwischen der EU und Griechenland läuft am nächsten Sonntag ab. Was passiert, wenn kein Kompromiss gelingt?

Athanassios Kelemis: Dann tritt der schlechteste Fall ein. Unser Land geht pleite und wir verlieren den Euro. Für die zwei, drei Jahre danach rechne ich mit katastrophalen Verhältnissen. Die Bevölkerung in Griechenland wird unter der Knappheit von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Rohstoffen und Energie leiden.

Ohne Geld von den Banken, ohne Kredite von außen – wie sollen die Menschen die nächsten Monate überstehen?

Wir würden eine Notwährung bekommen, mit der der Staat und die Firmen ihre Beschäftigten bezahlen. Vermutlich hätten meine Landesleute zunächst aber kein Vertrauen in dieses neue Geld. Es wird ein Schwarzmarkt für Währungen und Waren entstehen. Die Preise steigen, große Armut wird die Folge sein.

Können die Griechen denn dann noch ihre Grundbedürfnisse decken?

Dass die Menschen hungern, lässt sich hoffentlich vermeiden. Die EU kündigt ja humanitäre Hilfe an. Aber ich rechne damit, dass beispielsweise der Kauf von Nahrungsmitteln begrenzt wird, weil wir nicht mehr genug importieren.

Während der Staatspleite in Argentinien vor 14 Jahren sind die Leute dort zur Tauschwirtschaft übergegangen.

Das droht auch uns. Vergessen wir nicht: Das würde in Europa passieren – in einem Land, das vor nicht langer Zeit zu den 30 reichsten Volkswirtschaften der Welt gehörte.

Sie klingen verzweifelt.

Ich habe in Deutschland studiert, besitze einen deutschen und einen griechischen Pass. Ich bin überzeugter Europäer. Nun aber fürchte ich, dass Europa zerbricht. Das schmerzt mich besonders, weil ich weiß, wie sehr Griechenland von der Mitgliedschaft in der EU, den EU-Fonds und der gemeinsamen Währung profitiert hat.

Nach dem „Nein“ beim Referen­dum zu den Sparauflagen der EU: Müssen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Regierungschefs bewegen und Ihrem Land ein besseres Angebot machen?

Europas Bereitschaft, über die Schuldenlast zu einem späteren Zeitpunkt zu diskutieren, ist ein positiver Schritt. Ein solches Angebot braucht die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras, um ihr Gesicht zu wahren. Aber natürlich benötigen wir auch Strukturreformen und ein Investitionsprogramm.

Welche Reformen müsste die griechische Regierung zusagen?

Sie sollte endlich die nötigen Strukturreformen planen und anpacken. Da ist in den vergangenen Jahren zu wenig passiert. Zwei Beispiele: Die Mehrwertsteuer müsste automatisch sofort bei den Geschäften, Restaurants und Hotels eingezogen werden, wenn eine Rechnung bezahlt wird. Nicht erst Monate später, nachdem der jeweilige Unternehmer seine Steuererklärung gemacht hat. Und staatliche Genehmigungen für Firmen sollten vermehrt elektronisch erteilt werden, um persönliche Kontakte und Bestechung zu vermeiden.

Regierungschef Tsipras akzeptiert die Sparauflagen der EU nicht. Was sagen Sie dazu?

In der jetzigen schwachen Wirtschaftslage bereiten uns steigende Steuern zusätzliche Probleme. Trotzdem wird es ohne sie nicht gehen. Wir müssen ja unseren Staatshaushalt sanieren. Deshalb kommen wir auch um eine höhere Mehrwertsteuer wohl nicht herum.

Seit zehn Tagen sind Geldüberweisungen von Griechenland in andere Staaten mit wenigen Ausnahmen verboten. Wie können die Unternehmen jetzt überhaupt noch wirtschaften?

Etwa drei Viertel der Waren, die in Griechenland verkauft werden, stammen aus dem Ausland. Diese Importwirtschaft kann zum großen Teil jetzt nicht mehr stattfinden. Zwar haben viele Firmen, besonders die großen, Vorräte angelegt, aber auch diese reichen höchstens ein paar Wochen. Dann kommt es zu massiven Problemen. Die Betriebe können ihre Leute nicht mehr beschäftigen, die Arbeitslosigkeit steigt – eine Kettenreaktion in die Krise. Interview: Hannes Koch

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