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Austausch auf Augenhöhe

KULTURFESTIVAL Bei der fünften „Millerntor Gallery“ geht es dieses Wochenende um Kunst im Stadion. Und um Wasser, Allianzen und interkulturelle Begegnung. Natürlich auch um Geld. Und noch um vieles mehr

Die „Millerntor Gallery“ verwandelt das ganze Stadion in eine große Kunstausstellung   Foto: Herakut

von Marco Carini

„Ich stamme aus dem reichsten Land der Erde“, schwärmt Mallence Bart-Williams. Damit meint die Künstlerin nicht Deutschland, das Land in dem sie aufwuchs, sondern ihr „Vaterland“ Sierra Leone. „Wir haben die schönsten Menschen“, sagt sie. „Und auch die meisten Bodenschätze: Erdöl, Diamanten, Gold.“ Sierra Leone ist reich. Die meisten seiner gut sechs Millionen Einwohner aber leben in Armut.

Die Straßenkids, die auf einer Müllhalde gelebt haben, gehören dazu. Mit 21 von ihnen hat Bart-Williams für ihre Sozialinitiative „Folorunsho“ eine Turnschuh- und Modekollektion entwickelt sowie ein Buch und eine Dokumentation über ihre Geschichte veröffentlicht. Aus Textilien wurden Kunstwerke, die – in den richtigen Läden plaziert – gute Preise erzielten. Die Straßenkinder bekamen Geld, konnten zur Schule gehen, einige von ihnen sogar aufs College. Nicht allen aber gelang der Aufstieg: Zwei von ihnen sind inzwischen gestorben, ein paar leben wieder auf dem Abfallberg.

Szenenwechsel. Nur zwanzig Meter von Mallences Ausstellungsstücken blickt man durch eine offene Toilettentür über einen Klodeckel hinweg auf die neue Nordtribüne des Millerntor-Stadions. Die Tür ist beschriftet, zeigt den natürlichen Kreislauf, wie aus Kot Kompost wird, aus Kompost neue Nahrung, aus Nahrung wieder Kot. Aber wir verschwenden kubikmeterweise Wasser, um diesen Kreislauf zu unterbrechen. Und Wasser, sauberes trinkbares Wasser, darum geht es hier.

Für vier Tage verwandelt die „Millerntor Gallery“ das Bundesligastadion in eine große Galerie. Mehr als 130 zeitgenössische Künstler aus 15 Ländern präsentiert das internationale Kunst- und Kulturfestival. Musik-Acts und Diskussionsrunden, Videoinstallationen und Lesungen dürfen da nicht fehlen. Doch die Triebfeder dahinter heißt soziales Engagement. Die Gallery ist kein Selbstzweck, kein Profit-Center für die teilnehmenden Künstler. Denn die behalten nur 30 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Kunstwerke. Den Rest bekommt „Viva con Agua“, eine Initiative, die sich für sauberes Trinkwasser weltweit einsetzt, hervorgegangen aus einem Trainingscamp des FC St. Pauli auf Kuba.

Social Business heißt das Stichwort – ein boomendes Unternehmen: 2013 lockten rund 70 Künstler aus zwölf Ländern 8.000 BesucherInnen ins Stadion, 50.000 Euro spülten sie in die „Viva con Agua“-Kasse. Im vergangenen Jahr waren schon 100 Künstler und 12.000 BesucherInnen dabei. 90.000 Euro blieben am Ende für neue Wasserprojekte übrig. Dieses Jahr soll es noch einmal deutlich mehr werden.

Doch es geht nicht nur um Geld und Wasser, es geht auch um einen anderen Blick. Das Auge soll sich an den Exponaten sattsehen, das Hirn das Gesehene aber neu verorten. „Unfamiliar“, so das Motto der diesjährigen Gallery, soll die Perspektive sein – ungewöhnlich und ungewohnt zugleich.

Viele der 130 Künstler kommen aus den Projektländern, in denen „Viva von Agua“ Brunnen baut, die meisten von ihnen vom afrikanischen Kontinent. Unser Blick auf den Kontinent, sagt Michael Fritz, der künstlerische Leiter der Gallery, sei von Elendsbildern geprägt: Hunger, Krieg, Flucht, Ebola, HIV.

Diese Perspektive durch einen positiven Blick zu ergänzen, ist eines der zentralen Anliegen der Gallery. Es gehe um „interkulturellen Austausch auf Augenhöhe“, sagt auch Mallence: darum, hier afrikanische Künstler zu Wort kommen zu lassen und ihre eigene Kunst inszenieren zu lassen – eine Abkehr von neokolonialen Mustern, die Afrika als Bittsteller und Europa als Almosengeber erscheinen lassen.

„Das Verhältnis zwischen dem reichen weißen Norden und dem armen schwarzen Süden funktioniert nach dem Prinzip: Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt hier“, sagt die ehemalige Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste, Adrienne Goehler. Für die Gallery war sie Jurorin. „Grundlegend anders kann das erst werden“, ergänzt sie, „wenn wir neue Allianzen schließen, zwischen Künstlern, NGOs, Wissenschaftlern und Erzählern.“

Auf einem Symposium am heutigen Samstag von 15 bis 17 Uhr soll deshalb die Rolle der Kunst im internationalen Austausch beleuchtet werden und es genau um solche Allianzen gehen. Allianzen, ohne die die „Millerntor Gallery“ ebenso wenig möglich wäre wie ohne das Millerntor als Ort der Begegnung.

„So etwas geht in keinem Stadion Deutschlands – nur hier am Millerntor“, glaubt denn auch St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich und klingt stolz dabei. Denn wo sonst könne man Kunstliebhaber, Fußballfreunde, Kulturbanausen, Hochkulturnaserümpfer, Autonome, Hipster, Künster, Spender, linke und neoliberale Spießer zusammenbringen?

Sa, 4.7. und So, 5.7, Millerntor-Stadion, Internet: www.millerntorgallery.org

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