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Soll doch der Gauck die Welt retten

48 STUNDEN NEUKÖLLN Unterwegs am Richardplatz und in den Neukölln Arkaden: Wenn die richtigen Fragen gestellt werden, kommt die Kunst schon ganz schön weit

Zu 48 Stunden Neukölln gehörte auch das „Liveboat Chapter 5“ vom Kollektiv Plastique Fantastique auf dem Tempelhofer Feld Foto: Andre Wunstorf

von Anne-Sophie Balzer

Die Kunst zu einer Lebens- und Weltretterin zu machen, ist gerade das Instrument der Stunde. Vor einer Woche zogen Tausende vom Zentrum für Politische Schönheit aufgerufene Menschen in einem Trauermarsch durch Berlin. Viele Medien wollten die Symbolik hinter der Aktion „Die Toten kommen“ nicht verstehen und folgerten, Tote mit ästhetischen Mitteln zu instrumentalisieren, sei pietätlos. Für die vielen Demonstrierenden, die dem Aufruf des ZPS gefolgt waren, war der ästhetische Protest das letzte Ausdrucksmittel, um eine Gesellschaft und die von ihr gewählten Vertreter zu kritisieren, die lieber Schlepper jagen, als Flüchtlinge aufzunehmen.

Das Motto des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln am vergangenen Wochenende lautete „S.O.S. Kunst rettet Welt“. Denn auch hier wurde die Frage gestellt: Wie kann Kunst unserer Gegenwart anders entgegentreten, als mit ihren Mitteln laut zu rufen: Save our Souls?! Beim Durchwandern von Neukölln, diesem Stadtteil der Gegensätze, war man beeindruckt von der Vielfalt der Antworten und Methoden, mit denen sich rund 1.000 Künstler_innen in etwa 280 Beiträgen dem Thema angenähert haben.

Abendmahl am Biertisch

Die Theaterwissenschaftlerin Sabrina Schneid hat für ihre Installation „KonSUmeNTa. Vertrau Konsum. Vergiss Kunst“ vier Umkleidekabinen in den Neuköllner Arcaden als Ort gewählt. In der einen häuft sich Elektroschrott, an den Spiegeln hängen Bilder von Kindern in einem unbekannten afrikanischen Land, die auf riesigen Bergen aus Fernsehern, Toastern und Computern nach Brauchbarem suchen. In einer anderen Kabine häufen sich Säcke voller Kleidung, dazu steht am Spiegel das berühmte Zitat von Tyler Durden aus dem Film „Fight Club“: „Wir sind Konsumenten. Wir sind Abfallprodukte der allgemeinen Livestyle-Obsession.“

Auf einem Kissen ist der Untergang eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer abgebildet, auf einem Turnbeutel das Bild einer Näherin aus Bangladesch oder Indien“. Dazu hat Schneid auf einem Biertisch das Abendmahl arrangiert, mit Servietten, auf denen die Engelchen von Da Vinci abgebildet sind.

Ein anderes bemerkenswertes Projekt sind die „Superheroes of Neukölln“ der Künstlerin Lucy Libre. Sie hat Kinder und Jugendliche aus Neukölln gefragt, welche Superhelden der Kiez und auch sie selbst gebrauchen könnten, und mit ihnen in Bildern deren Kostümierungen, Masken und Fähigkeiten entwickelt. Ihre Beschäftigung mit Superhelden reicht schon länger zurück, auf Reisen durch Mexiko ging Libre zu Wrestling-Duellen.

Repair-Man mitechten Muskeln

Was die Kinder auf Papier verewigt haben, setzen Ringer der German Wrestling Federation um. Superhelden wie School-Man (geht gerne zur Schule, obwohl die manchmal blöd ist) oder Repair-Man (kann so ziemlich alles reparieren) steigen gegeneinander in den Ring. Unter Gejohle und Gekicher stellen die Jugendlichen ihre Superhelden und deren Special Skills vor, die Kämpfer schlagen sich auf die Brust, fordern das Publikum zum Applaudieren auf und springen auf das Geländer des Rings. Die Atmosphäre ist aufgeheizt. Was folgt, ist ein echter Wrestlingkampf mit tätowierten, muskulösen Ringern.

Andere Künstler in den Neukölln Arcaden haben Comics zur Weltrettung durch die Kunst gezeichnet oder goldene Banner mit Sätzen wie „Die Weltrettung wird total überbewertet“ oder „Soll doch der Gauck die Welt retten“ gemalt. Überhaupt – viel Humor ist zu sehen und nicht alle nehmen das Motto der Weltrettung so ernst. Manche Beiträge distanzieren sich ganz bewusst und verweisen auf den ästhetischen und eben nicht politischen Anspruch ihrer Kunst.

Mit durchaus interventionistischem Anspruch widmet sich dagegen das Dienstleistungszentrum Kunst dem Motto „Kunst rettet Welt“. Es hat sein Quartier am Richardplatz aufgeschlagen. Unter alten Kastanienbäumen bieten 18 Künstler_innen die unterschiedlichsten Dienstleistungen an. Das Institut für Kunstbedürftige zum Beispiel lädt mit einem schwarzen Brett dazu ein, sich zu vernetzen. „Suche Akkor­deon­unterricht, biete Anstöße zur kreativen Selbstverwirklichung.“

Faltkunst aus Büchern

Ein anderes Kollektiv glaubt an die rettende Kraft des Lesens. An diesem Stand entstehen aus alten Büchern dreidimensionale Faltkunstwerke. Ein weiteres Labor widmet sich den „Konserven der gefährlichen Wirklichkeit“ und bietet an, Geliebtes, Verlorenes, Vergessenes oder Gefundenes zu vakuumieren, einzulegen, zu laminieren oder anderweitig sicher zu verpacken und zu archivieren.

Es ist schwer, trotz großem Übermotto einen Tenor aus der großen Vielzahl an Beiträgen des Festivals herauszulesen. Aberwenn es einer wäre, dann der, keine konkreten Lösungen anzubieten, sondern an der richtigen Stelle die richtigen Fragen zu stellen. Und wenn ein in Wachs eingelegtes Smartphone vielleicht nicht die Welt rettet, so stellt es zumindest unmissverständlich Fragen.

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