Sportplatz: Frauenfußball-WM gucken: Alles nur Psychologie
Mein Bier, schön spritzig gemischt mit Zitronensprudel, steht vor mir. Der Countdown läuft. In etwas mehr als einer Stunde kommt es zum großen Viertelfinal-Duell zwischen Deutschland und Frankreich. Alleine die reservierten Tische zeigen mir: Das Kreuzberger Café Rizz wird voll werden.
Da kommt auch schon mein taz-Kollege Matthias ums Eck und sogleich die Bedienung. „Auch ein Bier bitte“, sagt er. „Das ist aber ein Alster“, sagt die Bedienung und deutet auf mein Mischbier. „Nee, ein Bier bitte“, wiederholt Matthias. „Ah, ein Männerbier also“, sagt die Bedienung und geht lachend davon. „Ich dachte, hier spielen nachher die Frauen“, wehre ich mich.
Genug dieser Männer-FrauenWitze, beschließen wir. Es gibt hier ohnehin andere Oppositionen, deutsche gegen französische Fans. Nach einer Spielminute schießen die Französinnen das erste Mal aus aussichtsreicher Position aufs Tor der Deutschen. In der Bar kommt ein lautes „wooaa“ auf. Ein Mann schlägt ob der vergebenen Großchance die Hände über dem Kopf zusammen. Sind wir hier richtig?
Wenige Minuten später kommt es unter dem Dauerdruck der Französinnen zu einer witzigen Szene. Nach einem Eckball steht eine französische Spielerin an der Strafraumgrenze zum Schuss bereit, doch die Schiedsrichterin blockiert ihren Weg. Gelächter kommt auf. „Oh Mann“, hadert eine Besucherin. Wir sind uns immer noch nicht ganz sicher, ob wir hier richtig sind. Wo sind die deutschen Fans?
Die Franzosen jubeln – noch
In der Halbzeitpause jedenfalls erklären sich die Franzosen draußen beim Rauchen, warum sie hier sind und wie cool es hier ist. Zugegeben, bis dahin hatten die durchaus zahlreichen deutschen Fans noch keine Möglichkeiten für ein „woooaa“ oder gar Jubelschreie gehabt. Jubelschreie gab es nach dem Wiederanpfiff dann doch – aber für die Französinnen. Ein abgefälschter Ball landet hinter Nadine Angerer im Netz. Die Franzosen springen auf, umarmen sich, klatschen ab.
Keine Resonanz bei den deutschen Fans, keiner der „Auf geht‘s!“ ruft. Zu chancenlos waren die Deutschen bisher im Spiel. Geht das jetzt einfach null zu eins verloren? Doch dann: ELFMETER! Wahnsinn! Aber, aber – ui, das war ja gar kein Handspiel der Französin. Egal, es gibt Elfmeter!
Célia Šašić trifft souverän, das erste Mal brandet in der Bar lauter Jubel auf. Bei der deutschen Mannschaft scheint jetzt ebenso der Knoten geplatzt zu sein wie bei den Fans in der Bar. Die Deutschen feiern den Ausgleich, die Franzosen berappeln sich schnell. „Allez les bleues“, schallt es aus dem Nebenraum und findet in unserem Raum Mitsingende.
89. Minute, alles läuft auf die Verlängerung raus. Gebannt schauen beide Fan-Lager, was die Leinwand jetzt noch so hergibt.
Eine Strafraumszene. Eine Französin dribbelt sich in den Strafraum und fällt durch die Beine von zwei deutschen Abwehrspielerinnen. Schockstarre – jetzt keinen Elfmeter bitte!
Die Wiederholung zeigt: Eine astreine Schwalbe. „Buuuh“ rufen die Fans zu Recht. „Andrea Möller“, rufe ich. Doch einzig Matthias findet diese Hommage an die wohl bekannteste Schwalbe im deutschen Fußball witzig, sie geht im Stimmenwirrwarr unter.
Die Dramatik steigt
Die Verlängerung geht rum, die Dramatik steigt – und mit ihr die Temperatur. „Könnt ihr den Ventilator anmachen“, bittet jemand an der Theke um Luftauffrischung. Die Türen müssen wegen Lärmschutz zugemacht werden. Drinnen wird es wärmer, lauter. Das schafft noch mehr Atmosphäre.
Passend dazu servieren die Damen auf der Leinwand hochspannenden Fußball. Das Elfmeterschießen ist das große Finale. Bei jeder Schützin das gleiche Muster – treten die Französinnen an, ruft ein Mann hinter mir: „Die ist nervös!“ Trifft sie, jubeln die französischen Fans lautstark. Das passiert vier Mal. Bis die fünfte Schützin wohl tatsächlich nervös war und vergab. „Ist dann auch viel Psychologie“, höre ich von hinten. Sebastian Raviol
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