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Der Rote FadenLernkurve der Konservativen

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Es wird keine gesetzliche Aufnahmequote für Einwanderer in der EU geben. Der Rassismus hat gesiegt, diesmal zugunsten der Gehassten.

Merkel spielt mit Seehofer und de Maizière das Good-Cop/Bad-Cop-Spiel. Foto: dpa

W as für ein Glück! Merkel setzt sich nicht durch, und das rettet vielen das Leben. Trotz klarer deutscher Ansage wird es keine gesetzliche Aufnahmequote für unerwünschte Einwanderer in der EU geben. Ausgerechnet EU-Leichtgewichte wie Tschechien, Bulgarien oder Ungarn setzten sich gegen das Berliner Schwergewicht durch und werden nun doch nicht dazu gezwungen, Flüchtlinge aufzunehmen. Der Pole Ronald Tusk hat als Vorsitzender der EU-Kommission sein Scherflein beigetragen. Der Rassismus hat gesiegt, diesmal zugunsten der Gehassten.

Schon jetzt müssen Geflüchtete in Osteuropa hungern, Beamtenwillkür und Schläge ertragen. Eine Berufs- und Überlebensperspektive gibt es für sie nicht, zudem ist die Muslimfeindlichkeit dort legendär. Der tschechische Präsident Milos Zeman findet öffentlich, dass ein gemäßigter Muslim „so widersprüchlich wie ein gemäßigter Nazi“ sei. Und Ungarns Präsident Viktor Orban wollen wir nicht die Ehre geben, ihn mit seinem völkischen Denken zu zitieren. Der Rassismus in den katholischen postkommunistischen Ländern sitzt tief. Und solange das so ist, darf niemand gezwungen werden, dort zu leiden. Das sieht Merkel anders – trotzdem zeichnet sich auch bei ihr neuerdings eine Art Lernkurve ab.

Im letzten Jahr noch glänzte die Kanzlerin mit ungetrübtem Dilettantismus: „Die Abschiebung in sichere Herkunftsländer“ sei „auf den ersten Blick vielleicht nicht christlich“, aber „es ist vielleicht noch weniger christlich, wenn wir zu viele aufnehmen und dann keinen Platz mehr finden für die, die wirklich verfolgt sind“.

Schutzbedürftige christlich zu behandeln ist in Deutschland kein Platzproblem, auch keines der Finanzen, sondern eines der Organisation. Ein simpler Ländervergleich belegt das: Das hundsarme Bremen bietet Geflüchteten bislang die beste Versorgung in der Republik an, das drecksreiche Bayern pfercht Menschen über Monate in Turnhallen zusammen und blamierte sich auch diese Woche mit der Klage, man sei überfordert. Auch über Seehofer wollen wir schweigen. Merkel aber sagte just auf ihrem Niederlagengipfel, dass „eine Riesenaufgabe auf uns zukommt“.

Merkels Lernkurve

Die Kanzlerin ist in ihrem Opportunismus ein unschlagbarer Lackmustest für das, was selbst in der Union in näherer Zukunft denkbar sein wird. Und so wird es dort denkbar werden, Menschen in Not menschlich zu behandeln und so unsere Gesellschaft vor der völlig freilaufenden Verrohung zu schützen. Natürlich kommt diese riesige Aufgabe nicht erst auf uns zu, sondern sie ist schon da. Doch seien wir nicht kleinlich.

Merkel hat mit diesem Satz in Brüssel deutlich gemacht, dass die Politik sich mit Geflüchteten systematisch befassen muss. Womöglich hat sie eingesehen, dass nicht alle Vertriebenen im Mittelmeer ertrinken werden und es schlecht ist fürs Image, also fürs Geschäft, wenn die EU und auch Deutschland den Menschenrechtsbonus in Gänze aufgeben. Ein bisschen Humanität muss schon sein. Zumal inzwischen auch Kirchen Krach schlagen, zum Beispiel das Erzbistum Köln. 23.000 Glockenschläge waren dort vor Kurzem zu hören – für die 23.000 Ertrunkenen im Mittelmeer. Mit Menschenverachtung sind in der konservativen Klientel also nicht mehr nur Wähler zu gewinnen, sondern inzwischen auch welche zu verlieren. Merkel hat das verstanden und spielt mit de Maizière und Seehofer das Good-Cop/Bad-Cop-Spiel. Denn die CDU wird in der Flüchtlingspolitik eine neue Balance finden müssen. Noch fällt diese Erkenntnis schwer.

Wie schwer, zeigt sich im sächsischen Freital. Die braunen Proteste gegen eine Unterkunft für Geflüchtete und die Reaktion der Polizei darauf, gewalttätige Nazis genauso zu behandeln wie die friedlichen Verteidiger der Menschenrechte, sind ein Skandal. Sachsens Innenminister Ulbig (CDU) trägt für die Nichtkontrolle des Mobs die politische Verantwortung. In einer richtigen, korrekten Welt müsste er zurücktreten. In der falschen muss er das nicht.

Die nächste Schreckensmeldung kommt aus Frankreich. Bei einem nach bisherigem Kenntnisstand islamistischen Anschlag auf eine Gasfabrik in der Nähe von Grenoble wurden ein Mensch ermordet und viele verletzt. Auch diese Attacke zeigt, wie gefährlich der gelegentlich so kommode Hass für die Mitte der Gesellschaft ist. Islamophobie und Flüchtlingsfeindlichkeit sind der Nährboden für Rechtspopulismus genauso wie für den Islamismus. Es handelt sich jeweils um Nazis.

Die Verantwortung für deren Einhegung in die Hände der Profis in Politik und Sicherheitsapparat zu legen, und nicht Laien zuzuschieben, ist ohne Alternative. Noch ist die Situation offen. Das ist die gute Nachricht.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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2 Kommentare

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  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Frau Kappert beschreibt sehr genau und schonungslos die Wirklichkeit. Die schlechte Nachricht: Mit dem rechtsradikalen Fremdenhass, von Polizei, Politik und Behörden nur sehr mäßig verfolgt, wird man in Zukunft nicht weit kommen. Europa und die USA verrichten im nahen Osten und in Afrika so viel Ungerechtigkeit und Ausbeutung, daß die Flüchtlingsströme nicht abreißen werden. Macht es Sinn, daß sich die Politik und (von ihr gezwungen) die Polizei bald nur noch mit den Brandstiftern in den Asylbewerberheimen befassen muss? Nein. Man muss endlich den Menschen sagen, daß mit der brutalen Überfischung der afrikanischen Westküste, dem Abbrennen riesiger Ackerflächen in Äthiopien für europäische Bedürfnisse, Raub von Bodenschätzen, Waffenlieferungen, Altkleider, Hähnchenabfälle und vieles mehr Schluß sein muss. Man muss die vielen Ursachen der Flüchtlingsströme bekämpfen, auch wenn es dem Kapitalismus gar nicht passt. Denn es könnte sonst sein, daß sich der Europäer (und auch der Amerikaner) sehr bald nahezu alle bisherigen Urlaubsziele und die Flüge dorthin sparen kann, weil die Armut und die Ungerechtigkeit ja ein guter Nährboden für Terrorismus ist (Tunesien, Frankreich).

  • Hoffentlich können die Flüchtlinge das genauso sehen. Man darf nicht vergessen, dass es da um's nackte Überleben geht und nicht um die komfortabelste Unterbringung. Je früher die EU die Aufnahme von Flüchtlingen als Gemeinschaftsaufgabe aller Mitgliedsstaaten begreift und auch die damit verbundenen Chancen mehr in den Vordergrund rückt, umso weniger Menschen würden die abenteuerliche Flucht am Ende mit dem Leben bezahlen müssen.

    Man wird mir nicht nachsagen können, dass ich ein Freund der Kirchen wäre, aber dass mehr und mehr Leute in den Kirchen ihre Stimme gegen die Abschottung Europas vom ärmeren Süden erheben und nicht länger bereit sind, wegzusehen, finde ich lobenswert und wichtig. Und wenn die neuen Länder im Osten dauerhaft vom Rest der Welt verschont werden möchten, dann kann man ja die Mauer gleich morgen wieder aufbauen.