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Glanz für alle

FESTIVAL II Jérôme Bels Stück „Gala“ feiert die Unterschiedlichkeit der Körper. Mit dem Tanz endet das Programm „The Power of Powerlessness“ im HAU

„Gala“ von Jérôme Bel im Hebbeltheater Berlin Foto: Dorothea Tuch

Fünf Minuten Ruhm für jedermann – es ist lange her, seit Andy Warhol an dieser Utopie zu arbeiten begann. Viele werkeln seitdem daran, eine ganze kreative Industrie ist entstanden. Im Konkurrenzkampf der Medien um Aufmerksamkeit ist daraus manch schauerliches Produkt geworden, Casting-Shows ohne Ende, die gerade mit dem Versprechen von Individualität das Durchsetzen von Normen zu tarnen scheinen.

Der Wunsch aber, die Privile­gien des Künstlers der Teilhabe von vielen zu öffnen, treibt Künstler immer wieder an. Zu ihnen gehört der französische Choreograf Jérôme Bel. Seit mehr als 20 Jahren schraubt er mit seinen Stücken an den Rahmenbedingungen der Repräsentation.

Oft mit verblüffend einfachen Konstruktionen: So ist auch sein neues Stück „Gala“ wieder wie eine Abfolge von Nummern strukturiert, von Ansagen kleiner Aufgaben (wie Piouretten oder Michael Jacksons Moonwalk) für ein Ensemble von 18 Spielern, darunter ältere Frauen und kleine Kinder, Cheerleader und Ballettschülerinnen, professionelle Schauspieler und Tänzer, ein Rollstuhlfahrer, eine Darstellerin mit Down-Syndrom. Sie alle wurden für die Berliner Aufführung hier gecastet. Eindeutig hatten mehr Frauen als Männer den Mut für diese Unternehmung.

Die Stärke der Schwachen

„Gala“ gastiert im Hebbeltheater im Rahmen des Festivals „The Power of Powerlessness“. Schon in dem es die Unterschiedlichkeit feiert, das Virtuose gleichberechtigt neben das Versuchte setzt und die Eigenwilligkeit jedes Körpers betont, widersetzt sich das Stück dem Modeln nach fremden Bildern. Das Festival fragt nach dem Verlust der Selbstbestimmung im eigenen Leben. Bels Antwort darauf ist unheroisch und lässig. Auch im Schüchternen und Unscheinbaren kitzelt er das Eigene heraus.

Vielen seiner Darsteller gesteht er einen Moment des Ausdrucks ihrer Stärken oder ihrer Sehnsucht zu. Das Ensemble nimmt deren Bewegungen und interpretiert sie als Compagnie so geht es geht, mal wuselig, mal mehr harmonisch; die Nachahmungen sind aber immer getragen vom guten Willen, jedem zu folgen und jeden mitzunehmen.

Das wird witzig, wenn etwa eine toughe Cheerleaderin mit ihrem Stab jonglierend Tempo macht und die Tanzprofis mühsam nachkommen; Momente von beinahe klassischer Anmutung stellen sich ein, wenn eine behinderte Darstellerin alle in sehr schmelzende und zarte Bewegungen hineinlockt. Natürlich amüsiert man sich auch über die unterschiedlichen Vermögen der Nachahmung — aber nicht mit Schadenfreude.

Die einzelnen Nummern werden übrigens über einen Aufsteller angekündigt, der sich als umgenutzter Kunstkalender mit Abbildungen von Mark Rothko erweist. Das ist eine nonchalante kleine Geste, mit der Bel hier an die Möglichkeiten der Popularisierung der Künste anknüpft. Es ist dieser entspannte Gestus, der sein Stück so angenehm macht.

Katrin Bettina Müller

Wieder am 25. 6., 20 Uhr, im HAU 1

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