Ein finsterer Lebenswille

KONZERT In der Philharmonie sind am Sonntag Werke der „Theresienstädter“ Komponisten Viktor Ullmann und Pavel Haas zu hören

Auch Franz Kafka wäre wohl nach Theresienstadt deportiert worden, wäre er nicht bereits 1924 gestorben. Das hätte nachhaltige Folgen gehabt für die Geschichte der deutschen Literatur, denn man könnte Kafka nicht lesen, ohne an den Holocaust zu denken. In Theresienstadt wurden viele Juden aus den ehemaligen k. u. k. Gebieten, insbesondere aus der Tschechoslowakei, interniert. Vielleicht war die ehemalige Garnisonsfestung von vornherein als Vorzeigelager gedacht, vielleicht ergab es sich zufällig so, weil die Dichte an Künstlern unter den Gefangenen außerordentlich hoch war. Auf jeden Fall duldeten die Nationalsozialisten im Lager Theresienstadt eine offizielle Abteilung „Freizeitgestaltung“, mit der die jüdische Selbstverwaltung ein reiches kulturelles Leben organisierte. Der Musik kam dabei eine herausragende Rolle zu.

Etliche Werke der Komponisten, die in Theresienstadt aktiv waren, werden im Konzertbetrieb mittlerweile relativ regelmäßig rezipiert – oft im Rahmen einer allgemeinen Gedenkkultur. Es ist gleichsam unmöglich geworden, die Musik von Viktor Ullmann, Pavel Haas und anderen zu hören, ohne an Theresienstadt zu denken.

Auch das Konzert der Kammerphilharmonie Amadé unter der Leitung von Frieder Obstfeld am Sonntag im Kammermusiksaal ist als Gedenkkonzert konzipiert, geht gedanklich aber einen Schritt weiter. Oder auch weiter zurück. Außer zwei Werken, die Ullmann und Haas in Theresienstadt schrieben, kommt als Gegenpol die „Schweizer“ Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy zur Aufführung, ergänzt durch eine Lesung von Briefen, die von der Begegnung des junggenialischen Felix mit dem alten Dichtergenie Goethe erzählen. Man wolle bewusst einen kulturellen Bogen schlagen, erklärt Obstfeld, in eine „Zeit, als Deutschland in geistiger Hinsicht groß war und keinen Machtanspruch hatte in der Welt“.

Doch mehr noch als eine Idee von Deutschland ist es der Geist der mitteleuropäischen Kultur, den man wiederbeleben möchte und der auch durch jüdische Künstler geprägt wurde. Mendelssohn war Deutscher, Viktor Ullmann aber Österreicher und Pavel Haas Tscheche.

Sowohl Ullmann als auch Haas komponierten in Theresienstadt tatsächlich sehr viel. Die Zugehörigkeit zur Abteilung „Freizeitgestaltung“ machte es möglich, erhielten sie doch dadurch Zugang zu Schreibmaterialien, die es ansonsten schlicht nicht gab.

Haas hatte in der Meisterklasse von Leoš Janáček studiert und galt als dessen bedeutendster Schüler. Die „Studie für Streichorchester“, die am Sonntag zur Aufführung kommt, ist ein affektgeladenes, in Gestus und Rhythmus kon­trastreiches Werk, das Anklänge an slawische Volksweisen aufscheinen lässt und damit selbstbewusst eine eigene kulturelle Identität behauptet. Im Rahmen der Musikproduktion im KZ fiel dieses Stück insofern eher heraus, als die widrigen Bedingungen es nur selten zuließen, Musik in großer Instrumentalbesetzung aufzuführen. Daher beschränkten sich die Komponisten in der Regel auf Kammermusik.

Hoffnung von der Front

Auch Viktor Ullmann hatte für sein Melodram „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, meist in der Klavierfassung aufgeführt, ursprünglich eine große Instrumentierung konzipiert – im Sommer 1944 womöglich hoffnungsvoll geworden durch Nachrichten von der Westfront, die ins Lager gelangt waren.

Ullmann und Haas sollten beide im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet werden. Was einen im Osten erwartete, wusste man in Theresienstadt nicht wirklich.

Die unerträgliche Spannung der Ungewissheit, aber auch ein finsterer Lebenswille grundieren Ullmanns Musik zu den Worten von Rainer Maria Rilke. „Die Weise“ ist ein sogenanntes freies Melodram, in dem der Text innerhalb eines gegebenen musikalischen Abschnitts vom Sprecher frei rezitiert wird. Das erfordert sowohl großes musikalisches Empfinden aufseiten des Rezitators als auch beim Pianisten ein Gespür für den dramatischen Moment. Mit Anatol Ugorski und Hanns Zischler stehen sensible Meister ihres Fachs für diesen Konzerthöhepunkt bereit. Katharina Granzin

Kammermusiksaal, Sonntag, 20 Uhr, 15–35 Euro