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Hingabe zum Geräusch

KLANGFORSCHUNG Die hohe Kunst des Knirschens – das Ensemble Les Femmes Savantes heute am Samstag im Heimathafen Neukölln

Abseits der alten Regeln der Kunst: Les Femmes Savantes Foto: Anja Weber

von Tim Caspar Boehme

Eine Trompete, die durch den Mund der Sängerin über einen winzigen Lautsprecher gespielt wird. Ein „Innenklavier“, das nur aus einem Metallrahmen mit Saiten besteht. Und dessen Klang schon mal gesteuert wird durch Wasserflaschen, die auf den Saiten stehen und die man über Luftschläuche anspielt: Les Femmes Savantes bedienen ihre Instrumente nicht einfach nach den althergebrachten Regeln der Kunst. Sie suchen lieber nach neuen Ausdrucksmitteln, die fernab üblicher Spielweisen liegen. Das wird auch bei ihrem Konzert heute am Samstag im Heimathafen Neukölln so sein.

Les Femmes Savantes, das sind Sabine Ercklentz, Hanna Hartman, Andrea Neumann, Ana Maria Rodriguez und Ute Wassermann. Seit zehn Jahren schon besteht das Quintett, das zur Berliner Echtzeitmusik zählt. Echtzeitmusik heißt unter anderem, dass man statt mit Melodien, Harmonien und eingehenden Rhythmen eher mit „fremden“ Klängen arbeitet. Als „Hingabe zum Geräusch“ bezeichnet die Pianistin Andrea Neumann den gemeinsamen Ansatz.

Wie für die Berliner Echtzeitmusik nicht unüblich, wirkt ihre Musik oft reduziert auf das Klangspektrum, das in der Tonkunst früher zu den unerwünschten „Nebengeräuschen“ gezählt wurde. Das tonlose Zischen der Trompete von Sabine Ercklentz, verschiedenste Kehlkopflaute oder das Knirschen von Bonbons an den Zähnen der Sängerin Ute Wassermann, die schwer zu definierenden Laute der Klangobjekte Hanna Hartmans oder vom Innenklavier Andrea Neumanns bis zur Elektronik von Ana Maria Rodriguez – was die Musikerinnen zusammen hervorbringen, ist oft ein kompakter Mischklang, aus dem sich die einzelnen Stimmen erst allmählich herausbilden.

Composer-Performer

Les Femmes Savantes sind aber kein Improvisationsensemble. Sie verstehen sich als „Composer-Performer“, wie man in der Echtzeitmusik sagt: „Eines der Charakteristika von Composer-Performern ist, dass sich die Dinge in der Praxis entwickeln“, so Andrea Neumann. „Dass man etwas ausprobiert. Das hat natürlich etwas Improvisatorisches, wenn man gemeinsam nach Klangverbindungen sucht, die einem interessant erscheinen, und dann gemeinsam guckt, wie sich die entwickeln können.“

Sabine Ercklentz macht zugleich deutlich: „Aber wir stellen uns nicht auf die Bühne und improvisieren. Die Improvisation ist eine Quelle, mit der wir arbeiten, um Kompositionen zu generieren. Dass wir zusammen improvisieren und gucken, was entsteht, ist eine Möglichkeit. Aber dann fixieren wir das.“

Eine weitere Besonderheit der Musik der Femmes Savantes ist das „Netzwerkebilden“. Innerhalb der Gruppe vernetzen sich die Spielerinnen mit ihren Instrumenten und bringen so Wechselwirkungen hervor. Wenn Ute Wassermann zum Beispiel ihren vom Komponisten Matthias Kaul entwickelten „Mundverstärker“ verwendet, spielt Ercklentz die Töne ihrer Trompete durch diesen Verstärker. Je nachdem, wie Ute Wassermann dazu ihren Mund öffnet, werden die Trompetenklänge unterschiedlich gefiltert. Der Ton stammt zwar aus der Trompete, die Obertöne werden aber durch die Mundstellung mitgestaltet. Gelegentlich kommen Kontaktmikrofone zum Einsatz, um Körpergeräusche hörbar zu machen.

Als sich Les Femmes Savantes vor zehn Jahren gründeten, entschieden sie sich bewusst für eine rein weibliche Besetzung. „Unter anderem, weil es uns allen wichtig war, die Arbeit von Frauen sichtbarer zu machen“, so Andrea Neumann. Die Berliner Echtzeitmusik mag heute zwar recht viele Frauen zu ihren Mitstreiterinnen zählen, doch in der Vergangenheit mussten die Musikerinnen der Femmes Savantes ganz andere Erfahrungen machen. „Da hat sich ganz schön viel verändert“, erinnert sich Ercklentz. „Heute sehen wir eine Szene, die nicht von Anfang an so war. Und wenn ich an die Neunziger zurückdenke, war das schon eine sehr männliche Szene. Da habe ich mich als Frau sehr unterrepräsentiert gefühlt und musste sehen, dass ich meinen Raum finde.“

„48 Stunden Neukölln“

Les Femmes Savantes und XLR-Female spielen am Samstag im Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, 20 Uhr, 13/11 Euro. Vorab kann man in einer Privatwohnung die Klang­installation von Henry Andersen erleben, 17.30–19.45 Uhr, Treffpunkt: Isarstraße/Flughafenstraße. Hier Eintritt frei.

Freier Eintritt gilt auch für die sonstigen Veranstaltungen beim bis Sonntag dauernden Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ mit 350 Projekten an 220 Orten. Leitmotiv dieses Jahr ist „S. O. S. – Kunst rettet Welt“. Programm: www.48-stunden-neukoelln.de

Im Heimathafen Neukölln gibt es im Rahmen der „48 Stunden“ am Samstag um 17.30 und 19 Uhr mit „Aktion N!“ eine halbstündige Preview eines Recherchestücks zu sehen, das im September Premiere hat. Verhandelt wird darin, dass der Heimathafen im Nationalsozialismus zeitweise ein Lager für den Hausrat deportierter jüdischer Neuköllner war.

Die Macht des Mischpults

Die Zeiten, in denen die Tontechniker ihnen regelmäßig vor Auftritten erklärten, wie sie ihre Geräte zu benutzen hätten, sind erfreulicherweise vorbei. Was bei einem Ensemble mit fünf Misch­pul­ten auf der Bühne durchaus eine Rolle spielt. Denn, so Ercklentz: „Wir bedienen schon alle gern die Knöpfe selber.“ Um einschränkend hinzuzufügen: „Man trifft immer wieder auf Festivals, bei denen man denkt: Wie kann es sein, dass keine einzige Frau da ist?“

Dass Les Femmes Savantes als Frauenensemble in Erscheinung treten, hat für die Musikerinnen im Übrigen nichts mit „weiblicher Ästhetik“ zu tun. Auf ihrer Website steht für diese Zwecke der Satz: „Sie können unsere Musik ruhig ‚weiblich‘ nennen, wenn es Sie erschüttert, es nicht zu tun.“ Und dass sie sich den Kon­zert­abend im Heimathafen mit dem weiblichen Quartett XLR-Female – benannt nach einer Steckverbindung – teilen, sei von den Veranstaltern nicht bewusst geplant gewesen.

Und außerdem kann man, sozusagen als Vorprogramm zu dem Konzert, vorab ja auch noch eine Klanginstallation mit bewegten Klängen im Raum erleben, ganz in der Nähe des Heimathafens in einer Neuköllner Privatwohnung. Eingerichtet ist diese Installation vom australischen Komponisten Henry Andersen.

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