In Moabit ist was im Busch

STADTENTWICKLUNG Nach dem Bauboom am Ende des 19. Jahrhunderts und dem Büroboom der neunziger Jahre wird Berlin wieder einmal gründlich umgekrempelt. Diesmal geht es um den Wohnungsbau für eine wachsende Stadt. Größter Investor ist derzeit die Groth Gruppe

Der Busch und sein König: Auf dem Bauland der Groth Gruppe wohnt derzeit noch Rainer Z. in einem Bretterschuppen Foto: Lia Darjes

Von Uwe Rada

Berlin verändert sich in Wellen. Ende des 19. Jahrhunderts war es die Industrialisierung, die die verschlafene Preußenresidenz erfasste, aufpumpte und am Ende eine Metropole gebar. Aus Brandenburg, aus Schlesien, aus dem ganzen Reich kamen Hunderttausende Arbeitskräfte, um in den neuen Fabriken ihr Glück zu suchen. Zur gleichen Zeit entstanden die Mietskasernen. Berlin hatte seine erste Gründerzeit.

„Bürotisierung Berlins“

Nach dem Ende der deutschen Teilung begann vor 25 Jahren die zweite Gründerzeit. Nun waren es die Dienstleistungsfirmen, Start-ups, die Kreativen und die Konzernzentralen, die in die Stadt drängten. Ihnen wurden neue Bürohäuser gebaut, sodass bald schon von der „Bürotisierung Berlins“ (so der Architekturtheoretiker Werner Sewing) die Rede war. Am besten lässt sich dieses Büro-Berlin am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße, aber auch in zahllosen Bürotürmen, etwa an der Landsberger Allee oder in der City-West, beobachten. Es ist gläsern, steinern, oftmals kalt.

Seit einiger Zeit nun steht Ber­lin vor der dritten Gründerpe­riode. Nicht mehr um die Fabriken und die Computerarbeitsplätze geht es nun, sondern wieder ums Wohnen. Um 50.000 Bewohner ist die Stadt in den letzten beiden Jahren gewachsen, bald wird die aktuelle Bevölkerungsprognose wieder nach oben korrigiert werden müssen. Zuletzt ging die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2013 davon aus, dass die Zahl der Berliner Einwohner bis 2030 um 250.000 steigen wird.

Auch dieser neuerliche Zuwachs wird das Bild der Stadt ändern. Nach Jahren des Stillstands drehen sich wieder die Kräne. Bauen, bauen, bauen ist die Botschaft des zuständigen Senators. Das unterscheidet die Politik nicht von anderen wachsenden Städten wie etwa Hamburg oder Zürich. Doch während die beiden letztgenannten kaum noch über Bauland verfügen, hat das flächenmäßig riesige Berlin noch viel Platz.

Einen riesigen Batzen davon hat sich die Groth Gruppe gesichert. Berlins größter Wohnungsbauin­vestor hat ehemalige Bahnflächen an der Lehrter Straße, am Gleisdreieck oder am Mauerpark sowie das US-Übungs­gelände Parks Range in Lichterfelde-Süd gekauft. Es entstehen vor allem teure Wohnungen, auch wenn der Senat nun die Auflage macht, 25 Prozent der Neu­bauvorhaben zu Mieten von 6,50 Euro je Quadratmeter anzu­bieten. Bei Groth gilt das aber nur für Lichterfelde-Süd. Andere Städte wie München waren da schneller.

Bauen im Alternativkiez

Lichterfelde zeigt aber auch, dass vor allem dort gebaut wird, wo schnell Hunderte bis Tausende neuer Wohnungen hochgezogen werden können. Das gilt auch für die Elisabethaue in Pankow. Ob das der richtige Trend ist, bezweifelt die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Christine Edmaier. Sie sagt: „Die meisten wollen inzwischen in die Innenstadt. Wenn man schon am Stadtrand baut, müsste man eher in Stadtteilen wie Rudow oder Waidmannslust verdichten und qualifizieren, als neue Quartiere auf Grünflächen zu bauen.“

Berlin wird also wieder einmal umgekrempelt. Auch dort, wo sich die Stadt noch den Charme erhalten hat, der lange Zeit seine Attraktivität begründete: rau, arm, großmäulig. An der Lehrter Straße, diesem einstigen Alternativkiez, in dessen Mitte die ­Groth Gruppe tausend Wohnungen bauen will, wird sich zeigen, was von diesem Berlin nach seiner dritten Gründerzeit übrig bleibt.

Spaziergang entlang der Lehr­ter Straße und Porträt Groth Gruppe SEITE44, 45