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die taz vor 16 jahren zur lage der nation

Nur ein Satz der Bundestagsdebatte kennzeichnete wirklich die Lage der Nation: „Was in der DDR entsteht, ist die erste selbsterkämpfte Demokratie auf deutschem Boden“ (Antje Vollmer). Diese Einsicht hat zwei Konsequenzen: Es gibt die deutsche Nation, insofern es einen deutschen demokratischen Beitrag zur Weltgesellschaft geben wird, und die Wiedervereinigung gehört der Geschichte an. Einfach darum, weil das, was sich bislang wiedervereinigen sollte, nun schon der Geschichte anheimgefallen ist. Wer die Demokratie im Osten will, muß die DDR als selbständige staatliche Einheit verteidigen. Aber bestenfalls gesamtdeutsche Therapeuten hatten gestern im Bundestag das Wort: Den revoltierenden Massen der DDR gönnt Bonn generös erst einmal eine Periode der Selbstbestimmung; eine Art Wiedervereinigungsquarantäne für die Hitzeperiode der Demokratisierung, um dann mit der Macht der Mehrheit und der Wirtschaft die Frage der staatlichen Einheit auf den Tisch zu legen. Eine Bundestagsdebatte, voll Ahnung der historischen Dimension, von brüchiger Selbstgerechtigkeit und Parteipolitik. Aber kein Begreifen, daß der Osten die politische Initiative hat; daß wir mit der selbstkritischen Revision unserer politischen Überzeugungen und mit gesamtdeutscher Solidarität antworten müssen.

Die Bundestagsdebatte hat gezeigt, daß auch Kohl zur Ära Honecker gehört. Jetzt, an den Anfängen einer innerdeutschen, innereuropäischen Völkerwanderung, zeigt sich zu unser aller Risiko, daß die inkompetenteste Regierung, die es je gab, in Bonn amtiert. Der Kanzler beschränkt sich auf gesamtdeutsche Zensuren und überläßt die Politik den Landräten, dem Grenzschutz, dem Roten Kreuz. Statt Sofortprogramme verhandlungsreif zu machen, will die Bundesregierung den „grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Wandel“ in der DDR unterstützen. Eine derartige Spekulation auf den Konkurs ist ein zusätzliches Motiv der Flucht aus der DDR. Klaus Hartung, 9. 11. 1989

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