piwik no script img

ARD-Doku über den IrakkriegSuche nach dem Spiegelbild

Die Lügen des irakischen Informanten „Curveball“ gaben der US-Regierung die Begründung für den Dritten Golfkrieg. Nun spricht er erstmals.

Rafed Ahmed Alwan beim Nachzeichnen der Pläne. Foto: SWR/Julia Schlingmann

Eigentlich ist die Geschichte von „Curveball“ bekannt. Es geht um jenen Iraker, der 1998 den Irak Richtung Deutschland verließ und dessen Lügengeschichten über irakische Biowaffenproduktion der damaligen US-Regierung als Begründung für den Irakkrieg dienten. Auch dass der Bundesnachrichtendienst „Curveballs“ Informationen aufnahm und weitergab, ihn dafür mit Gehalt und schließlich der deutschen Staatsbürgerschaft belohnte, ist seit einigen Jahren öffentlich und hat schon den Deutschen Bundestag beschäftigt – als Skandal.

Schließlich ließ die Geschichte von „Curveball“ das angeblich so entschiedene deutsche „Nein“ der Schröder-Regierung zum Irakkrieg einigermaßen fragwürdig aussehen. Der damalige US-Außenminister Colin Powell hatte „Curveballs“ Erfindungen im Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat als gesicherte Erkenntnisse präsentiert, und Amtskollege Joschka Fischer hatte skeptisch geschaut. Dabei kamen die Informationen direkt vom deutschen Geheimdienst, der sich auf seine Quelle berief, den irakischen „Überläufer“ Rafed Ahmed Alwan – „Curveball“. Als die Geschichte schließlich aufflog, stand Alwan als Betrüger da. Er selbst äußerte sich selten.

Mit dem Dokumentarfilm „Krieg der Lügen“ von Matthias Bittner, der am Dienstag in der ARD gezeigt wird, ändert sich das. Fünf Monate lang trafen sich die beiden ohne Kamera, redeten über den Irak, Alwans Leben, bevor er „Curveball“ wurde, bauten eine Vertrauensbasis auf. Dann schließlich: sechs Tage Interview am Stück, in einem alten Flugzeughangar, fast 50 Stunden Material, aus dem der Film entstand, der von der Ästhetik her an den US-amerikanischen Dokumentarfilm „The Fog of War“ erinnert – nur eben nicht mit dem gealterten US-Verteidigungsminister Robert McNamara als Protagonisten.

Alwan spricht über Schuld – nein, er fühlt sich nicht schuldig. Er sieht sich als Opfer. In fast allen Veröffentlichungen über ihn steht er als Lügner aus Habgier da, der sich mit seinen Lügengeschichten ein aufwendiges Leben finanzieren wollte.

Krieg der Lügen

9. Juni 2015, 22.45 Uhr, ARD; Regie: Matthias Bittner, Deutschland 2014, 89 Min.

Trotzdem ein Betrüger

Er selbst will jetzt als einer gesehen werden, der einfach alles tat, um die Regierung Saddam Husseins zu stürzen. Ja, mit Krieg, anders würde es nicht gehen. Damit wäre Alwan zwar noch immer im Unrecht, aber er wäre kein einfacher Betrüger mehr, sondern einer, dessen – in seinen Augen legitimer – Zweck die Mittel heiligt. Alwan wäre kein Abzocker, er wäre George W. Bush oder Dick Cheney. Kein großer Aufstieg in der Meinung der Weltöffentlichkeit, aber ein bedeutender für ihn. Aber ob das so stimmt?

Es ist die Stärke des Films, Fragen offenzulassen, nicht zu urteilen. Bittner hat sich seinem Protagonisten genähert, ohne sich ihm zu unterwerfen. Er lässt Alwan seine Version erzählen, fragt nach, versucht zu verstehen. Entstanden ist das sehenswerte Porträt eines Mannes, der gleichzeitig Weltpolitik gemacht hat und benutzt wurde. Einer, der etwas bewirkt hat, dessen Folgen ihm vollkommen über den Kopf gewachsen sind. Einer, der versucht, sich so neu zu erfinden, dass er in den Spiegel schauen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Und wieder ist es nur die blanke Größe...!

     

    Männer! Stehen auf dem Klo und schau'n auf ihre "edelsten" Teile. Was sie damit machen, wenn sie nicht grade auf die aufgemalten Fliegen zielen, geht keinen etwas an. Wichtig ist nur... - na ja, wir wissen schon.

     

    Einen Film wie diesen hätte man über jeden Menschen machen können, der einen Job ausübt in einer Hierarchie oder zum Gelderwerb. Wir alle versuchen täglich, uns "so neu zu erfinden", dass wir "in den Spiegel schauen" können. Und zwar ohne uns für das, was wir glauben tun zu müssen, schämen. Den einen strengt das mehr an und den anderen etwas weniger.

     

    Das Mikro kriegen jene hingehalten, die offenbar die größten haben. Probleme, meine ich. Mit ihrem "Spiegelbild", der Kamera. Weil sie mehr Schnitte auf dem Kerbholz zählen, als sie angesichts eines eher übersichtlichen Talents zur Lüge hätte eintragen (lassen) sollen. Das Publikum will ja auf seine Kosten kommen. Es will nicht an sich selbst erinnert werden. Im Bad hängt schließlich schon der eigene Spiegel und schaut es fragend an.

     

    Schon deswegen verkaufen sich "Skandale" besser als das, was Alltag ist. Als Journalist kann man ja seinem Spiegel einreden, das wären nun einmal die Regeln in der freien Welt und ohne diese ginge es nicht gut. Herr Bush und Mr. Cheney sagen das ja schließlich auch (und kriegen es nicht schlecht bezahlt). Nur ärgerlich, dass partout kein besonders "großer Aufstieg in der Meinung der Weltöffentlichkeit" rumkommen will dabei...