Debatte Syrien-Krieg: Steinsuppen-Komplott
In der aktuellen Situation bedeuten Feuerpausen nur noch mehr Tote. Sie helfen nicht, eine politische Lösung zu finden.
D ie Geschichte von der Steinsuppe ist uralt. Sie erzählt davon, wie hungrige Fremde die Dorfbewohner dazu bringen, am Ende doch ihr Essen mit ihnen zu teilen. Sie füllen einen großen Topf mit Wasser und legen einen großen Stein hinein. Dann warten sie, bis die ersten Neugierigen vorbeikommen. Denen erklären sie, dass ihre Steinsuppe fantastisch schmecke und sie diese gerne mit jedem teilen, der nur eine Zutat beisteuere. Nach und nach spricht sich die Steinsuppen-Geschichte herum und die Dörfler kommen und bringen Gemüse und Fleisch mit, bis die Suppe tatsächlich fantastisch schmeckt. Am Ende sind alle satt und glücklich.
Erst vor zwei Wochen hörte ich diese Geschichte wieder, und zwar auf einer Konferenz in Beirut zum Thema Waffenstillstand und Peace Building in Syrien.
Auf der Konferenz diskutierten Aktivisten und Experten über Feuerpausen, die sie entweder selbst erlebt oder genau verfolgt hatten. Viele fanden Waffenstillstände eine gute Idee. Doch ich fragte mich immer wieder: Auf Syrien übertragen – welche konkreten Folgen haben Waffenpausen dort für die Leute vor Ort? Natürlich hört es sich prinzipiell gut an, eine Unterbrechung der Kämpfe zu fordern, zumindest theoretisch: Waffenstillstände gibt es überall auf der Welt, denn Menschen können ja nicht auf ewig gegeneinanderkämpfen, warum sollten sie in Syrien nicht funktionieren?
Gleichzeitig bedeuten sie für die jeweils betroffene Gegend eine enorme Entlastung und können daher die Basis für eine längerfristige Lösung sein.
ist Soziologe und Programmmanager der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Zuvor arbeitete er für das UNHCR in Damaskus.
Kapitulation statt Waffenstillstand
Sie auszuhandeln ist ein langwieriger Prozess. Werden sie einmal nicht eingehalten, heißt das nicht, dass sie nicht doch noch später zustande kommen können. Und letztlich sind sie die einzige Möglichkeit, in Syrien die tägliche Gewalt zu beenden, denn es wird kein internationales Engagement für Syrien geben. Was also ist die Alternative?
So weit, so gut. Doch sieht man die konkrete Situation an, kommen Zweifel auf. Zunächst handelt es sich bei solchen Deals bislang zumeist um Kapitulationen und nicht um einen Waffenstillstand.
Die verhandelten Bedingungen werden nie eingehalten, vor allem seitens des Assad-Regimes nicht. Stattdessen benutzt es sie als Teil seiner Strategie, die eine Region zu befrieden, um Truppen abziehen zu können, damit eine andere angegriffen werden kann. Später kehren die syrischen Armeen zu den befriedeten Orten zurück, besetzen sie und hungern die Bevölkerung aus und nehmen massenhaft Verhaftungen vor.
Das ist möglich, da es an glaubwürdigen Mediatoren sowie generell unabhängigen Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen fehlt. Und überhaupt an vertrauensbildenden Maßnahmen. Ergo gibt es keine erfolgreichen Beispiele in Syrien, die als Vorbild dienen könnten.
Assad verschärft die Kämpfe
Gegen diese Vorbehalte lässt sich einwenden, dass bei allen Schwierigkeiten und Einschränkungen in Syrien eine schlechte Idee immerhin besser ist als gar keine. Und wenn der Waffenstillstand nur einer Person hilft, ist das besser als nichts.
Das ist natürlich prinzipiell richtig, doch widerspricht es anderen wesentlichen Prinzipien: Du sollst niemanden töten. Denn sobald die Vorbereitungen für die Verhandlungen für einen Waffenstillstand beginnen, verschärfen sich die Kämpfe. Alle Seiten wollen schließlich Druck aufbauen. Gemeinhin ist das der Preis, den die Menschen zahlen müssen oder auch bereit sind zu zahlen, um Frieden zu erlangen, und sei es nur ein vorübergehender.
Doch in Syrien bezahlen die Menschen diesen blutigen Preis – ohne etwas dafür zu bekommen. So haben die vereinbarten Feuerpausen de facto stets zu noch mehr Opfern geführt. Denn die Kämpfe intensivieren sich nicht nur vor den Verhandlungen, sondern auch nachdem die Waffenruhe wieder gebrochen wurde – um die gegnerische Partei wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen.
So gesehen, ist keine Idee manchmal besser als eine schlechte Idee – insbesondere wenn Letztere noch mehr Opfer verlangt und den Verantwortlichen darüber hinaus noch eine Entschuldigung liefert, nicht weiter nach anderen, wirklichen Lösungen zu suchen, um den Krieg tatsächlich zu beenden.
Den richtigen Zeitpunkt für eine politische Lösung suchen
In der arabischen Welt kursiert noch eine zweite Version der Steinsuppen-Geschichte: Eine arme Frau lebt mit ihren kleinen Kindern in einem Zelt und kann sie ohne die Hilfe von anderen nicht versorgen. Wenn immer ihr mal wieder das Geld fehlt, um Essen zu kaufen, füllt sie einen Topf mit Wasser und Steinen und stellt ihn aufs Feuer. Denn die hungrigen Kinder sollen denken, sie würde kochen, gleich gäbe es etwas zu essen. Dann bittet sie die Kinder, noch ein bisschen zu schlafen, und verspricht, sie zu wecken, sobald sie fertig ist.
Und immer, wenn sie aufwachen und nach dem Essen fragen, redet sie ihnen gut zu, doch noch ein bisschen weiterzuschlafen, und versichert, sie rechtzeitig zu wecken. So vergeht ein Tag ohne Nahrung und schließlich schläft auch die Mutter ein in der Hoffnung, am nächsten Tag genügend Geld zu haben, um den Hunger ihrer Kinder zu stillen.
Ein Waffenstillstand ist nur dann ein richtiger Schritt, wenn er Teil eines nachhaltigen, konsistenten Friedensplanes oder zumindest einer größeren Lösung ist. Das sollte man bedenken, wenn die Forderung nach Waffenruhe erhoben wird und viele ihr blind zustimmen – ohne zu überlegen, welche Folgen sie für die verhandelnden Gruppen und vor allem für die Leute in der Region hat.
Natürlich dürfen wir deshalb nicht aufhören, neue Wege zu finden, um Syrien zu helfen oder die Bedingungen für einen Waffenstillstand zu verbessern, damit er überhaupt gelingen kann. So lange, bis auch in Syrien endlich der richtige Moment für eine politische Lösung gekommen ist.
Übersetzung aus dem Englischen: Ines Kappert
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