5 Fragen: Was ist Armut?

Fünf Fragen zur Armut an Jens König (43), Leiter des Parlamentsbüros der taz

Was ist Armut?

Es gibt keine einheitliche Definition, wo Armut in einer Wohlstandsgesellschaft anfängt und aufhört. Fachleute unterscheiden zwischen materieller und geistiger Armut, dauerhafter und temporärer Armut etc. Weil das durchschnittliche Wohlstandsniveau im Westen wesentlich über der Hungergrenze liegt, sprechen die Fachleute bei uns von "relativer Einkommensarmut". Armut wird als eine Benachteiligung aufgefasst, die sich auf einen mittleren Lebensstandard bezieht.Nach den EU-Kriterien lebt ein Bürger in Deutschland unter "Armutsrisiko", falls er im Monat über weniger als 938 Euro verfügt.

Wer ist arm?

In Deutschland sind rund elf Millionen Menschen arm oder von Armut bedroht. Die Armutsrisikoquote ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 1998 betrug sie 12,1 Prozent, 2003 bereits 13,5 Prozent. Der letzte Armutsbericht der Regierung – insgesamt ohnehin erst der zweite – stammt aus dem Jahre 2004. International wird das Armutskriterium der Weltbank angewandt: Demnach gilt eine Personen als arm, wenn sie weniger als einen US-Dollar pro Tag zum Leben hat. So unfassbar arm sind über 1,5 Milliarden Menschen – ein Viertel der gesamten Weltbevölkerung.

In Deutschland ist Kinderarmut ein großes Thema. Warum?

Bei uns bedeuten Kinder, mehr als in anderen europäischen Ländern, ein Armutsrisiko. Ein Grund dafür sind die nicht ausreichenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Beruf und Familie zu verbinden, ist hierzulande schwierig. Dazu kommt, dass arbeitslose Eltern oder Alleinerziehende überdurchschnittlich lange arbeitslos bleiben. So wachsen in Deutschland heute 2,5 Millionen Kinder in relativer Armut auf. Vor zwei Jahren waren es "nur" 1,7 Millionen. Die wichtigste Ursache für diese Verschärfung sehen fast alle Experten in Hartz IV. Viele Kinder müssen auf Taschengeld und Klassenfahrten verzichten. Oft ernähren sie sich mangelhaft, sind bei schlechter Gesundheit. Benachteiligte Kinder bleiben häufig in isolierten Wohnvierteln unter sich, ohne gute Ausbildungsmöglichkeiten.

Was bedeutet das "Wort des Jahres 2006": Prekariat?

Der Begriff Prekariat wird häufig mit Armut verwechselt. Dabei ist jemand, der in prekären, also heiklen, ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen lebt, nur selten arm. Er hat ja einen Job. Der Begriff Prekariat spiegelt die wachsende Unsicherheit von sozialen Milieus wider, die bislang als sicher galten: Facharbeiter und Akademiker etwa. Selbstverständlich bilden sie sich ihre Unsicherheit nicht ein – aber ihr Risiko, von dauerhafter Arbeitslosigkeit oder gar Armut betroffen zu werden, ist viel geringer als das von Jugendlichen ohne Hauptabschluss, Migranten ohne ausreichende Deutschkenntnisse oder Langzeitarbeitslosen. Prekariat ist ein modernes Schlagwort für die aktuelle Krise geworden.

Gibt es einen Ausweg aus der Armut?

Ja. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland, die in Armut rutschen, hat sich bereits nach einem Jahr wieder daraus befreit. Besorgniserregend ist jedoch, dass bestimmte Gruppen keinerlei Chance mehr zum sozialen Aufstieg haben: Langzeitarbeitslose, Migranten ohne Schulabschluss, Alleinerziehende. Sie vererben ihre Armut an ihre Kinder. In manchen Familien lebt bereits die dritte Generation von Sozialhilfeempfängern. Es klingt banal, ist aber wahr: Die einzige Chance für diese Kinder, sich aus dem Gefängnis ihres Milieus zu befreien, liegt in einer guten Bildung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.