Kolumne: Nicht weinen!

Die Männer Brandenburgs leiden unter der Landflucht junger Frauen? Wir werden uns ihrer annehmen.

In einigen Regionen Ostdeutschlands besteht laut der aktuellen Studie "Not am Mann" inzwischen ein Männerüberschuss von 25 und mehr Prozent. Mein Freund und ich sind uns keiner Schuld bewusst, nicht wir haben all die "jungen, qualifizierten und weiblichen Personen" Brandenburgs in den Westen getrieben, und wir zwei Hanseln treiben auch nicht die Statistik nach oben.

Der Sohn unserer Nachbarn ist jedenfalls nicht betroffen. Der junge Mann fügt sich aufgrund einer Laune der Natur perfekt in die märkische Landschaft: schlicht, aber schön. Er ist sowohl in der Ausbildung als auch in festen Händen und somit dem Schicksal entronnen, Mitglied der "neuen männlich dominierten Unterschicht ohne Arbeit, Bildung und Partnerin" zu werden.

Bei anderen Jungmännern der Ackerbürgerstadt sieht die Zukunft schätzungsweise nicht so rosig aus. Neulich sah man eine nicht unbeträchtliche Zahl von ihnen in weißen Anzügen und schwarzen Buffalos durch die Innenstadt ziehen. Sie hatten gerade die "Jugendweihe" hinter sich - ein ostdeutsch-atheistisches Initiationsritual - und liefen hilflos Runde um Runde durch die winzige Innenstadt. Keine Kneipen. Keine Frauen. Keine Hoffnung.

Am letzten Wochenende standen gleich zwei verzweifelte, prekäre Männer von gegenüber in unserem Flur und tapsten unsicher von einem Bein aufs andere. Sie wollten sich mal erkundigen, wie das mit unserer Holzvergaser-Heizung funktioniert und so. Worüber man sich halt so unterhält, unter Männern. Beide ohne Arbeit und mit Depressionen.

Das ist alles nicht schön, aber müssen wir uns jetzt etwa um die Jungs kümmern, weil sich die Damen alle verpisst haben oder wie? Andererseits kann man sich dem ja auch nicht verweigern, denn laut der Studie tendieren diese verwahrlosten Mannsbilder zur Bildung rechtsradikaler Kameradschaften. Das muss nun auch wieder nicht sein.

Wir werden uns ihrer wohl annehmen müssen, es nützt ja alles nichts. Es gilt zuvorderst die "wirtschaftliche und soziale Erosion" der Betroffenen zu stoppen, denn sonst "sinkt deren Attraktivität für junge Frauen noch weiter". In unserem Freundeskreis befinden sich unter anderem Innenarchitekten, Mode-Designer, Schauspieler, Friseure, Tänzer, Tischler, Service-Kräfte, Produzenten, Lehrer und so weiter: Wir werden ein Gay-Kompetenz-Team bilden und Workshops anbieten, das wäre doch gelacht, wenn man diese netten brandenburgischen Gewächse nicht an die Frau kriegt. Schon die Wahl der richtigen Unterwäsche kann manchmal zum entscheidenden Durchbruch verhelfen, auch Männer, die kochen und eventuell zuhören können, erfreuen sich in weiblichen Kreisen einer gewissen Beliebtheit. Das kann man alles üben, zum Beispiel im Rahmen einer Fontane-Literaturwerkstatt unter der Fragestellung "Warum stirbt Effi Briest immer noch?" mit integriertem Kochkurs.

Was man nicht alles tut, um sich gegen Rechtsradikalismus zur Wehr zu setzen. Andererseits kann ich mir schon vorstellen, dass einige unserer Kompetenzteam-Mitstreiter versuchen werden, die individuelle Kinsey-Skala der attraktiveren Teilnehmer in ihre Richtung zu manipulieren. Macht auch nichts, die Frauen wollen ja nicht.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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