"Echtzeit": Zart schimmert die Politik

Eine Redaktion von Innen zeigen ohne an Markwort zu erinnern. Geht das? Das neue Montagabend Magazin "Echtzeit" hat es versucht - und schlägt sich ganz gut

Verflixt: Man kann im Fernsehen heute einfach keine Redaktion mehr von innen zeigen, ohne damit an Helmut Markwort zu erinnern. Und an diesen Werbespot, in dem der Focus-Boss seinen Redakteuren einhämmert, immer schön an die Leser zu denken. Zwar wollte man es beim WDR tunlichst vermeiden, diesem Firlefanz zu ähneln - die Redaktions-Szenen im neuen Politikmagazin "Echtzeit" aber gemahnen trotzdem daran, auch wenn hier alle jünger sind und keiner was von "Fakten, Fakten, Fakten!" faselt. Die Reporter erklären einfach selbst, anstelle einer Moderatorin, was an den jeweils vier Beiträgen pro halbstündiger Folge interessant und wichtig ist. Anschließend folgen relativ lange Porträts von Menschen, die auf verschiedenste Weise ihr Leben meistern - mal schlechter, mal rechter.

Beim Auftakt ging es etwa um eine junge Frau, die nach dem Studium all ihre Arbeitskraft in ein IT-Unternehmen gesteckt hat, von diesem dann ausgebeutet wurde und als Lohn das Burn-out-Syndrom erhielt. Irgendwann lag sie nur noch regungslos im Bett, bis sie schließlich aufgab und auf einen Bauernhof wechselte, wo sie nun "nicht mehr nachdenken, sondern nur noch Scheiße wegmachen muss".

Die anderen Beiträge drehten sich um einen alleinerziehenden Vater, der sich Tag für Tag in die Kindererziehung stürzt; um einen jungen Türken, der ein Vermögen mit Dönertüten gemacht hat - und um einen Anfang-dreißig-Jährigen, der auch zu Geld gekommen ist, aber ohne eigenes Zutun: Gerald hat geerbt, "ein Haus und einen Batzen Geld", wie er sagt. Nun ist er reich. Was zunächst gar nicht in sein linkes Weltbild passte, aber eben doch kein Widerspruch sein muss, man kann mit Geld ja auch anständige Dinge bewegen: es zum Beispiel in linksalternative Projekte stecken. Wie Gerald, der einfach eine Stiftung gründet.

Das sind die Storys, die "Echtzeit" erzählt. Der politische Bezug schimmert dabei allenfalls durch, zumal Zitate von Politikern und so genannten Experten gänzlich fehlen. Doch gerade das macht die Sendung aus: dass sie nicht überquillt von leeren Statements aus der Berliner Republik, sondern politische Fakten wie Erbschaftsteuer oder Elternzeit als Blaupause benutzt, um über Lebensentwürfe zu berichten.

Und so ist "Echtzeit" das bisher ambitionierteste Format, mit dem der WDR junge Zuschauer anlocken will. "Echtzeit" ist schlicht, aber nicht spröde. Und vor allem nicht so bemüht wie andere Sendungen, die man in Köln für jung und aufregend hält. Offiziell sind zunächst acht Folgen geplant. Doch wie aus oberen WDR-Etagen zu hören ist, soll das Team sogar ein halbes Jahr experimentieren dürfen - und zwar ohne Quotenvorgabe. ROS "Echtzeit", Mo., 22.00 Uhr, WDR

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