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KommentarKeine deutschen Machtworte

Kommentar von D. Weingärtner

Eine scharfe Reaktion von Angela Merkel auf die rebellierenden polnischen Zwillinge wäre falsch gewesen. Denn auf ein zu dominantes deutsches Auftreten reagieren viele empfindlich.

S eit dem Wochenende werden Angela Merkels Gastgeberqualitäten in Deutschland heiß diskutiert. Muss sie es sich gefallen lassen, dass sich die Kaczynskis die ganze Nacht zwischen Warschau und Brüssel die Bälle hin und her spielen? Muss sich eine Ratspräsidentin mit dunklen Kapiteln der eigenen Vergangenheit erpressen lassen? Hätte Merkel gegenüber den polnischen Zwillingen nicht energischer und selbstbewusster auftreten können?

Wer Merkels Mimik und Gestik gegenüber dem polnischen Präsidenten via Fernsehbildschirm verfolgt hat, wird keinen Mangel an Selbstbewusstsein beobachtet haben. Im Gegenteil. Die Chefin des größten EU-Mitgliedslandes wandte sich dem Gast aus Warschau mit einer herablassenden Freundlichkeit zu, die an den Besuch des armen Neffen vom Lande bei der reichen Tante in der Metropole erinnerte. Und das Bild entspricht ja auch den Tatsachen: Polen ist klein, wirtschaftlich noch schwach und ein Neuling in der europäischen Familie.

Angela Merkel war deshalb gut beraten, den Rüpeleien mit freundlichem Langmut zu begegnen. Jedes Auftrumpfen hätte ihr Image als kluge und bescheidene Managerin, die eigene Interessen zurückstellt, beschädigt. Viele unserer Nachbarn sind noch immer nicht abgeneigt, sich gelegentlich vor dem hässlichen Deutschen zu gruseln. Um das zu bestätigen, genügt ein Blick in die britische Boulevardpresse. Deshalb hat Merkel recht, wenn sie Polen nicht zur Ordnung ruft, das Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht in Form eines stärkeren Stimmengewichts im Rat einfordert. Das müssen andere Regierungschefs tun.

Im Verlauf der dramatischen nächtlichen Verhandlungen in Brüssel hatte die Gastgeberin sogar einmal damit gedroht, den unflätigen Neffen vor die Tür zu setzen. Sie wollte die Regierungskonferenz mit dem Einverständnis von 26 Ländern einberufen und so zeigen, dass Polen völlig isoliert dasteht. Da machten ihr aber die anderen ganz schnell klar, dass sie mit dieser Drohung zu weit gegangen war. Nicht einmal der Merkel-Fan Jean-Claude Juncker wollte den Coup unterstützen. Ein deutsches Machtwort wird in Europa nicht gern gehört.

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1 Kommentar

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  • AZ
    Anke Zöckel

    Es ist unwahrscheinlich, dass Merkels Machtwort allein deswegen nicht gern gehört wird, weil die Ratspräsidentin Deutsche ist. In der Politik ist die Nationalität eines Gegners allenfalls wohlfeiles Mittel zum Zweck (siehe Pan Kaczynski). Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass die erklärte Abneigung der EU-Staats- und Regierungschefs dem Präsidenten-Machtwort gegenüber aus dem Gedanken herrührt: Morgen werde ich selbst aus taktischen Erwägungen heraus quer schießen wollen in Brüssel - und dann werde ich mich trotzdem sicher fühlen wollen im Schoß der EU.