Ex-Radsport-Präsidentin : "Der Radsport ist verrottet"

Sylvia Schenk über ihre Bauchschmerzen, irrelevante Ehrenerklärungen, die Lügenkultur im Profisport und ihre Hoffnung auf kritische TV-Berichterstattung von der Tour de France.

Erste Schritte zum gläsernen Athleten: der belgische Radprofi Tom Boonen beim medizinischen Test im Vorfeld der Tour Bild: reuters

taz: Frau Schenk, sehen Sie sich ab Samstag die Tour de France im Fernsehen an?

Sylvia Schenk: Das hängt davon ab, was passiert und wer tatsächlich startet. Es gibt Fahrer, die sollten nicht dabei sein. Wenn nicht durchgegriffen wird und ich den Eindruck habe, die Favoriten sind eher belastete Athleten, dann werde ich mir die Tour nicht anschauen.

Das heißt, wenn das Team Astana an den Start geht mit Klöden und Winokurow, wenn Valverde ins Rennen gehen darf, dann vergeht Ihnen die Lust?

Dann hätte ich große Bauchschmerzen.

ARD und ZDF übertragen 89 Stunden live von der Frankreich-Rundfahrt. 89 Stunden zu viel?

Die haben sich Sand in die Augen streuen lassen, vor allem vom Weltverband UCI, der den Profis eine so genannte Ehrenerklärung abverlangt hat, in der sie sich verpflichten, im Dopingfall ein komplettes Jahresgehalt als Bußgeld zu zahlen. Aber was heißt das schon? Erstens wird kaum einer erwischt. Und zweitens ist diese Erklärung rechtlich völlig irrelevant.

Warum?

Weil ein Ausschluss von der Tour de France aufgrund dieser nicht unterschriebenen Ehrenerklärung nahe an ein Berufsverbot kommt. Solche Unterschriften unter Druck haben keinen rechtlichen Wert. Das ist reine Augenwischerei.

Den Funktionären und Teamleitern nützt diese Erklärung sehr. Sie sind fein raus.

Ja, aber es geht einfach nicht, wenn ein Bjarne Riis (Teamchef der dänischen Sportgruppe CSC und bekennender Epo-Doper; d. Red.) bei der Tour dabei ist. Er soll sich ja jetzt zurückgezogen haben und bei der Tour nur Sponsoren betreuen. Auch Erik Zabel sollte nicht starten. Er hat ein bisschen etwas zugegeben, aber das reicht mir nicht. Die Pressekonferenz in Bonn mit Zabel und Aldag war doch ein Witz. Es kann nicht sein, dass alle zur Tagesordnung übergehen und am großen Spektakel Tour de France teilnehmen. Es wird immer noch versucht, bei der Aufklärung zu bremsen - nach dem Motto: Es muss Schaden vom Radsport abgewendet werden.

Die Öffentlich-Rechtlichen erwarten trotz aller Skandale gute Quoten. Wie das?

Man hat bei der Bayern-Rundfahrt, die nach den Geständnissen stattfand, gesehen, wie die Zuschauer reagiert haben. Die waren begeistert. Zabel war der Held. Durch die Pressekonferenz ist er noch berühmter und populärer geworden. ARD und ZDF haben jetzt eine Aufklärungspflicht. Es kann nicht mehr um schöne Bilder gehen.

Sponsoren lieben diese Motive, vor allem wenn ihre Werbeträger mit im Bild sind.

In der Wirtschaft wird groß über Corporate Social Responsibility, also die soziale und moralische Verantwortung der Unternehmen gesprochen, aber warum sind die Firmen beim Radsportsponsoring so unkritisch?

Weil die Werbebotschaft prima zum Zuschauer transportiert wird?

Das ist es wohl.

Zuletzt hat die Öffentlichkeit das Geständnis von Jörg Jaksche erreicht. UCI-Chef Pat McQuaid will zwar mit Jaksche sprechen, ihn aber nicht als Kronzeugen akzeptieren. Warum?

Im Moment wird jeder diskreditiert, der nicht ein Geständnis nach dem Geschmack der Funktionäre ablegt. Deswegen werden auch Informanten als anonyme Feiglinge bezeichnet, dabei ist das völlig unangebracht, weil Leute, die sich offenbaren, Angst haben. Da ist mittlerweile ein erheblicher Druck in der Szene. Dazu kommt, dass Jaksche Geldgier unterstellt wird, weil er sich sein Geständnis hat bezahlen lassen. Aber das zeigt nur, dass der Radsport nicht weiß, wie man mit so genannten Whistleblowers (Hinweisgebern aus Gewissensgründen; d. Red.) umgeht. Wenn man sich erinnert, wie Jef Dhont anfangs von Bjarne Riis niedergemacht wurde und vier Wochen später gesteht Riis. Der Radsport hat nichts dazugelernt.

Steht er nun auf einer Stufe mit Wrestling oder Profiboxen?

Der Profiradsport ist moralisch völlig verrottet. Dort wird jahrelanges Lügen kultiviert, Doping sowieso. Rolf Aldag ist da ein gutes Beispiel. Ich gehe davon aus, dass er von Fahrern im aktuellen Kader weiß, dass sie in der Vergangenheit ein Dopingproblem hatten.

Stützen ARD und ZDF mit 89 Stunden Live-Berichterstattung das korrupte Radsportsystem?

Ich warte ab, wie gut es gelingt, die Zuschauer mit dem Thema Doping zu konfrontieren, wie gut die Kommentatoren und Moderatoren reagieren. Zum Beispiel könnten Sponsoren negativ erwähnt werden oder sie sagen: An diesem Sprint, liebe Zuschauer, sollten Sie sich nicht erfreuen.

INTERVIEW: MARKUS VÖLKER

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