Politiker: Wenn dann mal was passiert
Gehört es zum Job des Innenministers, sich stets als besonders "harter Hund" zu präsentieren? Nicht unbedingt, wie ein Blick in die Geschichte des Amtes zeigt.
W as, wenn es in Deutschland schon geknallt hätte? Was, wenn in Berliner U-Bahnen schon Bomben hochgegangen und auf die Schalterhalle des Frankfurter Flughafens ein Brandanschlag verübt worden wäre?
Wäre uns dann wohler, wenn wir wüssten, dass Verdächtige künftig "Gefährder" genannt werden und nicht mehr per Handy oder Internet kommunizieren dürften? Fänden wir es fein, dass mögliche Übeltäter präventiv interniert würden? Fühlten wir uns sicherer, wenn Terroristen gezielt umgenietet werden dürften? Den "finalen Rettungsschuss" gibts ja auch schon! Wähnten wir uns geborgener, wenn entführte Passagierflugzeuge abgeschossen werden dürften? Würden wir dann alle dem Innenminister im Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland, so sein vollständiger Titel, auf die Schulter klopfen und uns für seine Fürsorge bedanken? Derzeit sieht es nicht danach aus. Derzeit sieht es eher so aus, als wären unserem guten alten Wolfgang Schäuble ein paar Sicherungen durchgebrannt, als hätte sich der "blanke Irrsinn" seiner bemächtigt oder, um es mit dem SZ-Kommentator Heribert Prantl zu sagen: "Der Innenminister hat im Strudel der Terrorwarnungen seine Souveränität verloren. Er ist kein bedachter Gegner des Terrors mehr, sondern dessen Getriebener", der rechtsstaatliche Gewissheiten aus Angst vor dem Terror in Frage stelle.
Ist dieser Eindruck falsch? Hat Schäuble am Ende selbst Angst? Glaubt er also, was er verbreitet? Oder spielt er nur, wie so viele seiner Amtsvorgänger von Friedrich Zimmermann bis Manfred Kanther, den eisernen Law-and-Order-Minister, weil das von seiner Rolle so erwartet wird?
Alle diese Fragen stellten sich in der Geschichte dieser Republik noch bei fast allen Innenministern und es scheint, als fördere die Funktion eine gewisse "déformation professionelle". Es könnte an der Natur des Amtes liegen, wenn sein Inhaber selbst bisweilen als größte Bedrohung einer Verfassung erscheint, die er eigentlich schützen sollte. Man denke nur an den ehemaligen Grünen-Politiker Otto Schily, der als SPD-Minister die Schienen verlegt hat, auf denen Schäuble derzeit dahinrollt.
So hatte Schily den Islamisten mit dem markigen Spruch gedroht: "Wer den Tod liebt, kann ihn haben." Mehr noch, er schmiedete schon Pläne zu konkreten Gesetzesverschärfungen, bevor entsprechende Ereignisse überhaupt erst eine Grundlage dafür geschaffen hätten. Mag sein, dass Schily die rot-grüne Regierung auf der rechten Flanke deckte und mit diesem Auftreten vor allem eine innenpolitische Funktion erfüllte - dennoch wirkte er damit im doppelten Wortsinn eher wie ein Agent des Totalitarismus als wie ein Hüter der Demokratie.
Haben es Otto Schily und Wolfgang Schäuble mit der nach wie vor eher nebulösen al-Quaida zu tun, so hatten Werner Maihofer und Gerhart Baum (beide FDP) in den Siebzigerjahren den konkret staatsbedrohenden Terror der RAF zu gewärtigen. Maihofer darf man sich getrost als Proto-Schäuble vorstellen: Er rechtfertigte den "Radikalenerlass" und Berufsverbote mit der weit verbreiteten Angst vor "verfassungsfeindlichen Kräften im öffentlichen Dienst", wie es im entsprechenden Gesetz hieß - und stolperte schließlich über einen verfassungswidrigen Lauschangriff auf den Atomphysiker Klaus Traube, den man einer Zusammenarbeit mit den Linksterroristen verdächtigte.
War Maihofer damit seinem Diensteifer zum Opfer gefallen, ruderte sein Nachfolger Baum betont besonnen zurück und tut das heute noch: Damals lockerte er den diffamierenden Extremistenbeschluss, 2004 legte er Verfassungsbeschwerde gegen den "Großen Lauschangriff" ein und geißelte das Luftsicherheitsgesetz: "Schäubles Plan läuft darauf hinaus, das Kriegsrecht zur Kriminalitätsbekämpfung anzuwenden." Wo manche gerne so tun, als sei die Verfassung nur der Gefahr anzupassen, sehen andere gerade darin eine Gefahr für die Verfassung. Es ist und bleibt einfach eine Charakterfrage, auf welche der beiden Seiten man sich schlagen möchte.
Für Schäubles Amtsvorgänger Rudolf Seiters (CDU) jedenfalls war die gezielte Tötung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams noch Anlass zum Rücktritt. Andere Zeiten, andere Sitten.
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